Klima-Zeitung

Juni 2022

Alle zwei Monate ordnen wir alles Wichtige zu Politik und Wissenschaft ein. Für Menschen, die in der Diskussion um die Klimakrise auf dem Laufenden bleiben möchten.

Schweiz

Klage der Klimaseniorinnen erhält weltweite Bedeutung

2016 hatte der Verein Klimaseniorinnen die Schweiz wegen ungenügender Klimapolitik angeklagt. Nachdem das Bundesgericht die Klage 2020 abgelehnt hatte, zogen die Klimaseniorinnen an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiter. Nun hat dieser die Klage an die Grosse Kammer verwiesen. Diese befasst sich nur mit schwerwiegenden Fragen zur Menschenrechtskonvention. Es wird erwartet, dass die Klage öffentlich verhandelt wird und die Schweiz und die Klimaseniorinnen mündlich Stellung nehmen können.

Bis 2020 sind laut dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen weltweit über 1500 Klimaklagen eingereicht worden. Im Urteil des Völkerrechtlers Johannes Reich von der Universität Zürich gehört der Fall der Klimaseniorinnen zu den wichtigsten. Die Rechtsprofessorin Evelyne Schmid von der Uni Lausanne rechnet damit, dass der Fall weltweite Bedeutung haben und zeigen wird, wie der Gerichtshof für Menschenrechte seine Rolle in Bezug auf die planetarischen Herausforderungen unserer Zeit sieht (auf Twitter). Mehr dazu bei Greenpeace, welche die Klimaseniorinnen unterstützt, und in der NZZ (Paywall).

Bild: Miriam Künzli

Politische Vorstösse rund um den Ukrainekrieg

Durch den Ukrainekrieg sind die Preise für Energie und andere Waren deutlich gestiegen. Der Bundesrat prüft nun staatliche Hilfen, um Haushalte finanziell zu entlasten. Im Herbst werden die Stromtarife für Haushalte festgelegt. Je nach Höhe des Anstiegs der Strompreise für Private braucht es laut Bundesrätin Sommaruga Massnahmen, zumindest für Haushalte mit tiefen Einkommen und für gewisse KMU. Mehr dazu in der Aargauer Zeitung und im Tages-Anzeiger.

Benzinvergünstigungen lehnt der Bundesrat aber ab. Bürgerliche Politiker*innen hatten ein Entlastungspaket für Bevölkerung und Wirtschaft gefordert. Das Parlament wird in der Sommersession über den Vorstoss diskutieren. Laut einer Umfrage von Tamedia unterstützt eine Mehrheit der Schweizer*innen eine solche Preissenkung: 64% der Befragten möchten, dass die Treibstoffsteuer gesenkt wird. 85% der Personen, die mit der SVP sympathisieren, befürworten die Verbilligung von Benzin und Diesel, bei Wähler*innen der Grünen sind es immer noch 40%.

Die Schweizerische Energie-Stiftung (SES) verlangt ein befristetes Bundes-Sofortprogramm, um erneuerbare Energien auszubauen und den frühzeitigen Ersatz fossiler Heizsysteme massiv zu beschleunigen. Damit soll die Abhängigkeit vom Import fossiler Energie aus autoritären Staaten wie Russland reduziert werden. Die Forderung hat die SES am Energie-Unabhängigkeitstag gestellt, der dieses Jahr auf den 12. April fällt. So lange reichen die einheimischen Ressourcen, um den Energiebedarf der Schweiz zu decken. Für den Rest des Jahres ist die Schweiz auf importierte Energieträger wie Öl, Gas und Uran angewiesen. 72% der über das Jahr benötigten Energie wird importiert. Noch höhere Importquoten haben nur Italien, Belgien und vier weitere europäische Staaten. Mehr dazu in der NZZ (Paywall).

Der Krieg in der Ukraine rückt Pläne für ein erstes Schweizer Flüssiggas-Terminal am Rhein in Muttenz, BL, in den Fokus. Die Gasverbund Mittelland AG (GVM), die lokale Gasversorger in der Nordwestschweiz und im Mittelland beliefert, hatte das Projekt vor vier Jahren auf Eis gelegt, weil es sich bei den damals tiefen Gaspreisen nicht rechnete. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (Paywall).

Die Schweiz verfehlt das Klimaziel 2020 - trotz Coronapandemie

Zwischen 1990 und 2020 sind die Treibhausgasemissionen innerhalb der Schweiz um 19% gesunken. Damit verfehlt die Schweiz das Klimaziel knapp: Nach dem geltenden CO2-Gesetz hätte der Ausstoss um 20% sinken sollen. Auch die Sektorziele für Verkehr und Gebäude wurden verfehlt, wie das Treibhausgasinventar 2020 des BAFU zeigt. Der Rückgang der Treibhausgasemissionen war ungenügend, obwohl drei Faktoren im Jahr 2020 dämpfend wirkten: die Massnahmen gegen die Coronapandemie, der warme Winter sowie die anrechenbaren Senkenleistungen des Schweizer Waldes. Zum Vergleich: 2019 waren die Schweizer Emissionen nur 14% tiefer als 1990.

International hatte sich die Schweiz verpflichtet, ihre Emissionen zwischen 2013 und 2020 durchschnittlich um 15,8 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Die Schweiz hat aber ihre Inlandemissionen im Durchschnitt nur um 11% reduziert, also um knapp ein Drittel weniger. Um das Ziel dennoch zu erreichen, will die Schweiz für die fehlenden Emissionsreduktionen rund 20 Millionen Auslandzertifikate kaufen. Ein Zertifikat entspricht einer Emissionsreduktion von einer Tonne CO2. Analysen zeigen jedoch, dass in etwa drei Viertel der Fälle die Zertifikate diese Reduktion zwar ausgewiesen, aber nicht oder nur teilweise erreicht haben.

Gletscherinitiative: Indirekter Gegenvorschlag nimmt erste Hürde

Die Umweltkommission des Nationalrates hat einen indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative gutgeheissen. Das Ziel Netto-Null-Treibhausgasemissionen bis 2050 soll zum Gesetz werden, konkretisiert durch Zwischenziele (bis 2040 eine Reduktion der Emissionen um 75% gegenüber 1990) und sektorielle Richtwerte. Auf ein vollständiges Verbot fossiler Brenn- und Treibstoffe, wie dies die Initiative vorsieht, soll verzichtet werden. Offen lässt der Gegenvorschlag, wie viele Emissionen durch Auslandzertifikate kompensiert werden können; die Initiative lässt keine solche Anrechnungen zu.

Um die Ziele zu erreichen, schlägt die Umweltkommission des Nationalrats verschiedene Fördermassnahmen vor. So soll der Ersatz fossiler und elektrischer Heizungen durch Wärmepumpen und Fernwärme über zehn Jahre mit insgesamt 2 Milliarden CHF unterstützt werden. Langfristige Investitionen in die Klimaneutralität von Unternehmen werden während sechs Jahren mit bis zu 1,2 Milliarden CHF gefördert.

Die Initiant*innen äusserten sich zuversichtlich. Der Gegenvorschlag sei «gut, gemessen an dem, was wir politisch erwarten können.» Allerdings dürfe der Vorschlag in der weiteren Ratsdebatte nicht abgeschwächt werden. Und damit er «wirklich gut» werde, brauche es Nachbesserungen. Die Reaktionen der politischen Parteien fielen ebenfalls positiv aus, mit Ausnahme der SVP. Auch der Wirtschaftsverband swisscleantech unterstützt den Vorschlag. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und in der NZZ (Paywall).

Stimmen der Nationalrat in der Juni-Session und danach der Ständerat dem indirekten Gegenvorschlag zu und zieht das Initiativkomitee die Initiative zurück, wird dieser in Form einer Gesetzesänderung umgesetzt. Eine Verfassungsänderung ist dann nicht nötig, so dass es nicht zu einer Volksabstimmung kommen muss und die Änderungen deutlich schneller in Kraft treten können.

Eine Staatsbank soll Klimaprojekte vorantreiben

Damit die Schweiz bis 2050 klimaneutral ist, soll der Staat eine Klimabank gründen, die Klimaschutz- oder Biodiversitätsprojekte finanziert. Das verlangen fünf gleichlautende Motionen von GLP, SP, FDP, Mitte und den Grünen. Über die Bank sollen Projekte mit einem Investitionsvolumen von mindestens 10 Milliarden CHF abgewickelt werden, zum Beispiel in Technologien, um CO2 aus der Luft zu filtern und zu lagern oder in grosse Solarkraftwerke. Der Bund soll das erforderliche Eigenkapital einschiessen, was zu jährlichen Kosten von 100-200 Millionen CHF führt. Kleinere Kantonalbanken und Anlagestiftungen könnten sich an der Investmentbank beteiligen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (Paywall).

Wie die Nationalbank klimafreundlicher werden kann

Anlässlich der Generalversammlung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) hat die Klima-Allianz Schweiz ihre Forderungen für eine klimagerechte Geldpolitik konkretisiert. Zusammen mit der Finanzmarktaufsicht soll die SNB konkrete Massnahmen erarbeiten, um «proaktiv und effektiv» dazu beizutragen, den 1,5-Grad-Pfad bis 2040 zu erreichen und die Biodiversität bis 2050 wiederzuzustellen. Die Anlagepolitik sei offenzulegen und auf das Klimaziel auszurichten, was unter anderem einen Ausstieg aus Investitionen in fossile Energien erfordere. Weiter seien Massnahmen zu ergreifen, damit der gesamte Schweizer Finanzplatz auf Klimakurs komme. Von den Gewinnen der SNB soll in Zukunft ein Teil für die sozialökologische Transformation der Wirtschaft eingesetzt werden. Die Nationalbank lehnt die Forderungen ab. Es würde «keine legale und legitime Grundlage für Entscheidungen zugunsten solcher Anliegen» bestehen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Höherer Stromverbrauch, tiefere Produktion

2021 ist der Stromverbrauch in der Schweiz um 4,3% gestiegen, auf 58,1 Milliarden kWh. Laut dem Bundesamt für Energie gab es für den Anstieg mehrere Gründe: Zum einen pandemiebedingte Effekte (der Verbrauch war im 2. Quartal 2020 aufgrund des Lockdowns deutlich kleiner), zum anderen die allgemeine Wirtschaftsentwicklung (BIP-Zunahme um 3,7%), die Witterung sowie die Bevölkerungsentwicklung (Zunahme um 0,8%). Netto wurden im vergangenen Jahr 60,1 Mrd. kWh Strom produziert, 8% weniger als im Vorjahr. Die Wasserkraftanlagen lieferten 2,7% weniger Elektrizität, die vier schweizerischen Kernkraftwerke 19,4% weniger, vor allem aufgrund der Revision des Kernkraftwerks Leibstadt.

Mehr erneuerbare Energie auf Kosten der Natur?

Die Diskussion um die Sicherung der Stromversorgung in der Schweiz wird weiter intensiv geführt. Die Strommarktbehörde Elcom hat Anfang Juni vor einem Strommangel gewarnt, sollten europäische Stromunternehmen kein russisches Gas mehr für ihre Kraftwerke erhalten, berichtet die NZZ (Paywall). Um den Ausbau erneuerbarer Energien zu beschleunigen, wird mit mehreren politischen Vorstössen versucht, die Umweltschutzauflagen abzuschwächen.

Die Elcom selbst will das geltende Verbot für den Bau von Kraftwerken in Wasser- und Zugvogelreservaten sowie in Biotopen von nationaler Bedeutung streichen. Im Energiegesetz, zu dessen Revision eine Vernehmlassung läuft, soll festgehalten werden, dass das nationale Interesse am Bau von Wasserkraftwerken und Windparks künftig über das Interesse des Natur- und Landschaftsschutzes gestellt werde. Heute werden die Interessen zum Bau von Kraftwerken und zum Schutz der Natur als gleichwertig behandelt und müssen von den Behörden gegeneinander abgewogen werden. Die Umweltverbände WWF, Pro Natura und Stiftung Landschaft Schweiz halten die Forderung der Elcom für inakzeptabel. Dadurch würde der Natur- und Landschaftsschutz ausgehebelt. Mehr dazu in der Sonntagszeitung (Paywall).

Der Gewerbeverband will noch einen Schritt weitergehen und die ordentlichen Bewilligungsverfahren aussetzen. Bei Windpärken und grossen Wasserkraftanlagen müsse die Bewilligung «ohne die Möglichkeit von Einsprachen» automatisch erteilt werden. Mehr dazu in der NZZ am Sonntag (Paywall).

Mit der Volksinitiative «Jede Kilowattstunde zählt» will der Verband der Kleinwasserkraft das gleiche Ziel erreichen: Umweltanliegen zugunsten der Stromproduktion schwächen. Die Mitglieder wollen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien als prioritäres Ziel in der Bundesverfassung verankert wird und Hürden beim Bau neuer Windturbinen und Wasserkraftwerke abgebaut werden. Mehr dazu in der NZZ am Sonntag (Paywall).

Auch die Restwasservorschriften sorgen für Diskussionen. Seit Jahrzehnten hat die Wasserbranche die erforderlichen Restwassersanierungen hinausgezögert. Noch steht bei diversen Kraftwerken eine Erhöhung der Restwassermenge aus. Die Restwassermengen tragen zum Schutz der Biodiversität in Gewässern bei, dadurch kann aber auch weniger Wasser für die Energieproduktion genutzt werden. In der Umwelt- und Energiekommission des Ständerats gibt es meh­rere Anträge bürgerlicher Politiker*innen, die Restwassermengen zu senken. Naturschutzorganisationen wehren sich gegen eine Lockerung. Das Pikante daran: Im Dezember hatte sich die Energiebranche mit zahlreichen Umweltverbänden am «runden Tisch Wasserkraft» auf 15 neue Kraftwerksprojekte geeinigt, die weiterverfolgt werden sollen. Dabei waren jeweils angemessene Restwassermengen der bestehenden Anlagen zugesichert worden. Mehr dazu in der NZZ am Sonntag (Paywall).

Zudem sollen die Vorschriften zur Installation von Wärmepumpen gelockert werden. Der Nationalrat hat entschieden, dass es für die Umrüstung auf eine Wärmepumpe künftig kein Baugesuch mehr braucht; als nächstes berät der Ständerat darüber. In Zukunft soll es genügen, wenn Hausbesitzer*innen die Umrüstung den Behörden melden. Dadurch entfällt die Möglichkeit für Nachbar*innen, die Lärmemissionen befürchten, eine Einsprache zu machen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (Paywall).

Gemäss einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts GfS Bern befürworten 70% der Befragten eine Einschränkung der Beschwerderechte, um den Ausbau der Erneuerbaren voranzutreiben. Die Umfrage hatte der Verband der Schweizerischen Elektrizitätsunternehmen in Auftrag gegeben. Mehr dazu in der Aargauer Zeitung.

Neue Projekte für erneuerbare Energien

Power-to-Gas: In Dietikon hat das erste industrielle Power-to-Gas-Kraftwerk der Schweiz, das überschüssigen Strom für den Winter speichern kann, den Betrieb aufgenommen. Betrieben wird die Anlage vom Regiowerk Limeco, das acht Limmattaler Gemeinden gehört und Abwässer reinigt, Abfall verbrennt und Fernwärme produziert. Neu wird der überschüssige Strom, der bei der Müllverbrennung und der Nutzung des Klärgases aus der Abwasserreinigung entsteht, genutzt, um mittels Elektrolyse Wasserstoff herzustellen. Anschliessend wird der Wasserstoff in einem Bioreaktor mit dem CO2 im Klärgas aus der Abwasserreinigung zu Methangas umgewandelt, das ins Erdgasnetz eingespeist werden kann. Die mit der Anlage eingesparte Menge an COentspricht dem Ausstoss fossiler Heizungen von rund 2000 Haushalten. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und in der NZZ (Paywall).

Solarenergie: Gemäss den Klimaplänen sollen in der Schweiz bis 2050 insgesamt 34 Terawattstunden produziert werden, mehr als zehnmal so viel wie heute. Eine repräsentative Umfrage des Forschungsinstitut GfS Zürich im Auftrag der Schweizerischen Energie-Stiftung zeigt, dass die Bevölkerung einen beschleunigten Solarausbau unterstützt. Drei Viertel der Befragten befürworten, wenn Hausbesitzer*innen dazu verpflichtet werden, bei einer anstehenden Dachsanierung eine Solaranlage zu installieren. 93% befürworten finanzielle Garantien für Betreiber*innen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Die Schweiz hat das Potenzial, mehr als 44 Terawattstunden (TWh) PV-Strom zu generieren. Das zeigt eine im Auftrag des Bundesamts für Energie (BFE) erstellte Studie der ZHAW. Damit diese Mengen an Solarstrom produziert werden können, müssten auf bis zu 95% aller Gebäude eine PV-Anlage installiert und rund 40% der Dachflächen belegt werden.

Der Fokus liegt derzeit aber nicht nur auf Solaranlagen im Siedlungsraum, sondern auf solchen in den Bergen. Sie liefern in den Wintermonaten, wenn der Bedarf in der Schweiz grösser ist, mehr Strom. Gemäss einer Untersuchung des Science Center der ETH wären in den Schweizer Alpen theoretisch 150 Quadratkilometer für solche Anlagen geeignet, auf denen sich noch einmal etwa 41 TWh Strom produzieren liessen. Und die Studie «Alpenstrom jetzt!» zeigt, dass Strom aus den Alpen die sogenannte «Winterlücke» schliessen kann, ohne auf Erdgaskraftwerke zurückgreifen zu müssen. Mehrere Grossprojekte sind denn auch in Planung, zwei davon im Wallis, konkret in Gondo und in Grengiols (NZZ am Sonntag, Paywall). Die Projekte sorgen jedoch für Kritik von Umwelt- und Landschaftsschützer*innen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und in der Sonntagszeitung (Paywall).

Um den Ausbau von Solaranlagen zu fördern, hat der Bundesrat die Auflagen für deren Installation ausserhalb von Bauzonen gelockert. Mit der Anpassung der Raumplanungsverordnung können Solaranlagen an Fassaden, Staumauern, Lärmschutzwänden, schwimmende Solaranlagen auf Stauseen im alpinen Raum oder auch in wenig empfindlichen landwirtschaftlichen Gebieten schneller bewilligt werden.

Kern- und Gaskraftwerke: Der Wirtschaftsverband Economiesuisse will Kernkraftwerke mit Fördergelder des Bundes unterstützen. Damit soll verhindert werden, dass KKW-Betreiber*innen ein Kraftwerk vom Netz nehmen, wenn sich die Investitionen, die zur Gewährleistung der Sicherheit erforderlich sind, wirtschaftlich nicht mehr lohnen. Energieunternehmen lehnen den Vorstoss ab. Ein Sprecher der Axpo betont, der Fokus der Förderung müsse auf erneuerbare Energie gerichtet sein. Mehr dazu in der NZZ am Sonntag (Paywall) und in der NZZ (Paywall).

Zur Sicherung der Stromversorgung will Bundesrätin Simonetta Sommaruga Gaskraftwerke bauen lassen, die nur bei Stromknappheit in Betrieb sein sollen. Nun lanciert die die FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher die Idee, bestehende Notstromanlagen, wie sie in Spitälern und Datenzentren vorhanden sind, bei möglichen Versorgungsengpässen zu nutzen. Sie fordert den Bundesrat auf, diese Option in einer Machbarkeitsstudie zu prüfen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Klimarelevante Entscheide von Bund und Kantonen

Der Bundesrat will einen Rettungsschirm für systemkritische Stromunternehmen schaffen. Er hat dazu eine Botschaft für ein dringliches Bundesgesetz ans Parlament überwiesen. Damit soll sichergestellt werden, dass die Schweizer Stromversorgung auch bei starken Preisausschlägen an den Energiemärkten gewährleistet bleibt. Diese könnten dazu führen, dass der Liquiditätsbedarf der im Grosshandel tätigen Stromunternehmen deutlich zunimmt und ein Unternehmen zahlungsunfähig wird. Systemkritische Schweizer Stromunternehmen sollen bei Liquiditätsengpässen beim Bund Darlehen in der Höhe von 10 Milliarden CHF zur Überbrückung beziehen können. Die Stromkonzerne hatten sich im Vernehmlassungsvorschlag zuvor kritisch geäussert und Informationspflichten bezüglich gegenwärtiger Finanzlage, Handelsgeschäften und Krisenszenarien abgelehnt. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und in der NZZ (Paywall).

Der Bund und Vertreter*innen der Autoindustrie und weiterer Branchen haben eine neue Etappe der Roadmap Elektromobilität lanciert. Sie setzt sich zum Ziel, dass 2025 die Hälfte der neu zugelassenen Auto auf Steckerfahrzeuge (reine Elektroautos und Plug-in-Hybride) entfällt. Im ersten Quartal 2022 lag der Anteil dieser Fahrzeuge bei 25,5%, womit das Ziel der ersten Roadmap von 15% deutlich übertroffen wurde. Im Fokus stehen unter anderem das Laden von Elektrofahrzeugen in Mehrparteiengebäuden und in Quartieren sowie Wiederverwendung und Recycling von Batterien.

Obwohl die Schweiz bis 2050 klimaneutral werden will, fallen dann gemäss der langfristigen Klimastrategie noch immer 12 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr an, vor allem aus Industrie, Abfallverwertung und Landwirtschaft. Die Negativemissionstechnologien, die es braucht, um das Klimaziel zu erreichen, stehen heute nicht zur Verfügung. Eine Hürde sieht der Bundesrat in der fehlenden Investitionssicherheit für die Akteur*innen. Deshalb sollen die Rahmenbedingungen verbessert werden, wie die Regierung in einem Bericht festhält. Konkret sollen langfristige Ziele für negative Emissionen verankert werden, Qualitätskriterien für dauerhafte und nachhaltige Senkenleistungen definiert und die Infrastruktur für den Transport und die Speicherung von CO2 aufgebaut werden.

Der Bundesrat hat mit Thailand ein bilaterales Abkommen abgeschlossen, um Emissionszertifikate im Ausland kaufen zu können. Ähnliche Abkommen hat die Schweiz bereits mit Peru, Ghana, Senegal, Georgien, Vanuatu und Dominica vereinbart.

Die Stimmbevölkerung des Kantons Zürich hat sich mit einer deutlichen Mehrheit dafür ausgesprochen, dass der Klimaschutz in der Kantonsverfassung verankert wird. Bis 2050 soll Klimaneutralität erreicht werden. Kanton und Gemeinden werden damit aufgefordert, bei der Siedlungsentwicklung, den Gebäuden, dem Verkehr, Industrie und Landwirtschaft Massnahmen umzusetzen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Europäische Klimapolitik

Ukrainekrieg: EU plant mehr Kohle und mehr erneuerbare Energie

Die EU plant einen schnelleren Ausbau der Solar- und Windenergie und eine kurzfristige Förderung von Kohle, um so schnell wie möglich von russischem Öl und Gas wegzukommen. Die Europäische Kommission hat dazu einen neuen Gesetzesentwurf erarbeitet (REPowerEU), der die Ziele des New Green Deal verschärfen soll. Die Kommission schlägt vor, dass bis 2030 45% des EU-Energiemix aus erneuerbaren Energien stammen sollten, eine deutliche Erhöhung des «New Green Deal»-Ziels von 40%. Die Bewilligungsverfahren für Windräder sollen deutlich beschleunigt werden und künftig soll es für Neubauten eine Solarpflicht geben.

Ausserdem soll der Energieverbrauch bis 2030 um 13% sinken (im Vergleich zu 2020), ebenfalls eine Erhöhung von den ursprünglichen 9%. Gemäss dem Gesetzesentwurf will die EU dafür in den nächsten fünf Jahren zusätzliche 210 Mrd. Euro ausgeben. Zum Vergleich: Zurzeit gibt die EU jährlich 100 Milliarden Euro für russische fossile Brennstoffe aus.

Der Ausstieg aus dem russischen Gas bedeutet aber, dass kurzfristig mehr Kohle und mehr Kernenergie genutzt wird und mehr Flüssigerdgas (LNG) aus Staaten im Nahen Osten und im Kaukasus importiert wird, wo Menschenrechte regelmässig verletzt werden. NGOs kritisieren, dass die Mitgliedsstaaten gemäss Vorschlag weiterhin die Infrastruktur für fossile Brennstoffe finanzieren können. Mehr dazu im Guardian und in der NZZ.

Um einer befürchteten Nahrungsmittelknappheit entgegenzuwirken, will die EU zudem Landwirt*innen vorübergehend die Nutzung von stillgelegten Flächen gestatten, auf denen die biologische Vielfalt gefördert wird. Die Bauern begrüssen diesen Schritt, NGOs kritisieren ihn heftig, gerade weil die EU ihre Biodiversitätsziele in den letzten fünf Jahren verfehlt hat. Mehr dazu bei Reuters.

Deutschland will erneuerbare Energien ausbauen

Um den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben, hat die deutsche Regierung in ihrem «Osterpaket» eine Reihe von Gesetzentwürfen veröffentlicht. Mit den Gesetzesänderungen will sich Deutschland auf den 1,5-Grad-Klimaschutz-Pfad ausrichten und bis 2045 klimaneutral werden. Die Stromversorgung soll bereits im Jahr 2035 nahezu vollständig durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Heute sind es 41%, 2030 sollen es 80% sein. Um diese Ziele zu erreichen, sollen Ausbaupfade und Ausschreibungsmengen für die einzelnen Technologien festgelegt und deutlich angehoben werden. Zudem soll in allen Rechtsbereichen der Grundsatz verankert werden, dass die Nutzung erneuerbarer Energien im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient. Mehr dazu beim Bundestag (mit Links zu den Gesetzentwürfen), DW.comE3G und Deutschlandfunk.

Schweden will importierte Emissionen berücksichtigen

Die politischen Parteien Schwedens haben sich darauf geeinigt, verbrauchsbedingte Emissionen in ihre Klimaziele einzubeziehen. Damit ist Schweden das erste Land der Welt, das auch seine importierten Emissionen berücksichtigen will. Rund 60% der schwedischen Gesamtemissionen werden im Ausland verursacht. Nationale Klimaziele beruhen normalerweise nur auf den Inlandemissionen, der Import und auch internationale Flugemissionen werden ausgeklammert. Details müssen noch ausgearbeitet werden, bevor das Parlament dem Entwurf zustimmen muss. Mehr dazu bei Climate Change News.

Internationale Klimapolitik

Weltklimarat spricht erstmals über Konsum

Im Mai wurde der dritte Klimabericht des Weltklimarates veröffentlich. Er gibt einen detaillierten Überblick über mögliche Zukunftsperspektiven und wertet die Klimaziele und Versprechen der Länder aus. Bleibt die globale Klimapolitik so wie sie ist, wird sich die Erde bis Ende des Jahrhunderts um etwa 3°C erwärmen. Soll die globale Erwärmung unter 2°C oder sogar näher bei 1,5°C bleiben, müssen die globalen CO2-Emissionen spätestens ab 2024 anfangen zu sinken und bis 2030 halbiert werden. Und selbst dann wird es noch grosse Mengen von Negativemissionen brauchen, also Technologien, die CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernen. Positiv ist, dass in den letzten zehn Jahren die Kosten für Schlüsseltechnologien wie Windkraft, Solarenergie und Batterien rapide gesunken sind.

Zum ersten Mal widmet der Bericht dem Konsumverhalten und den Ernährungsgewohnheiten ein Kapitel. Es zeigt, dass die wohlhabendsten 10% der Menschen für fast die Hälfte der Haushaltsemissionen verantwortlich sind, da mit höherem Einkommen der Konsum deutlich steigt.

Ernährungssysteme sind für rund 42% der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. In Haushalten verursacht die Ernährung etwa ein Drittel des Klimafussabdrucks. Fleisch von Wiederkäuern wie Kühen und Schafen verursacht enorm hohe Emissionen. Der Bericht, der jeweils von allen Regierungen abgesegnet werden muss, wurde kontrovers diskutiert. Kein Wunder, denn er ist so explizit wie noch nie. Laut dem Bericht senkt eine mehrheitlich vegetarische bzw. vegane Ernährung den Klima-, Wasser-, Land- und Nährstoff-Fussabdruck signifikant und bringt zudem gesundheitliche Vorteile.

Die Umstellung auf klimafreundlichere Ernährungs- und Konsumgewohnheiten könnte die globalen Treibhausgasemissionen bis 2050 um 40-70% senken und so den Bedarf an Negativemissionen minimieren. Der Bericht betont, die Covid-19-Pandemie hätte gezeigt, dass Verhaltensänderungen in grossem Umfang und in kurzer Zeit möglich seien. Trotzdem hält der Bericht auch fest, dass individuelle Verhaltensänderungen nicht ausreichen, um den Klimawandel einzudämmen, wenn sie nicht in einen strukturellen und kulturellen Wandel eingebettet sind.

UN-Generalsekretär António Guterres unterstrich bei der Vorstellung des Berichts einmal mehr die Dringlichkeit der Klimakrise: Der Bericht liste die leeren Versprechungen auf, die uns auf den Weg in eine unbewohnbare Welt bringen. Er fügte hinzu: «Klimaaktivisten werden manchmal als gefährliche Radikale dargestellt. Aber die wirklich gefährlichen Radikalen sind die Länder, die die Produktion fossiler Brennstoffe erhöhen... [Der Bericht] zeigt praktikable, finanziell solide Optionen [zur Emissionsreduzierung] in jedem Sektor auf, die die Möglichkeit einer Begrenzung der Erwärmung auf 1,5°C am Leben erhalten können." Mehr dazu bei Carbon Brief und dem IPCC.

Geplante fossile Projekte sprengen das verbleibende CO2 Budget

Eine Untersuchung des Guardian zeigt, dass die grössten Unternehmen für fossile Brennstoffe im Stillen zahlreiche Öl- und Gasprojekte planen. Sie wollen dafür bis 2030 täglich 103 Millionen Dollar ausgeben. Zu den Plänen gehören 195 gigantische Öl- und Gasprojekte, von denen jedes während seiner Lebensdauer mindestens eine Milliarde Tonnen CO2-Emissionen verursachen würde. Das entspricht insgesamt etwa den derzeitigen weltweiten CO2-Emissionen, die in 18 Jahren ausgestossen werden. Bei rund 60% dieser Projekte ist die Förderung bereits angelaufen. Diese Projekte sprengen das verbleibende CO2-Budget, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Die Projekte befinden sich im Nahen Osten, Russland, den USA, Kanada und Australien. Die USA, Kanada und Australien gewähren nach wie vor die weltweit höchsten Subventionen für die Förderung von fossilen Brennstoffen.

Eine neue wissenschaftliche Studie zeigt zudem, dass nicht nur keine neuen Öl- und Gasprojekte mehr gebaut werden dürfen, sondern auch bestehende Produktionsstätten für fossile Brennstoffe vorzeitig abgeschaltet werden müssten, wenn die globale Erwärmung auf 1,5°C begrenzt werden soll. Mehr dazu im Guardian hier und hier.

Das Geld grosser Firmen finanziert die Klimakrise

Nicht nur die Produktion von Konsumgütern und Dienstleistungen verursachen Treibhausgasemissionen, auch die Vermögen, die grosse Unternehmen in Banken, Aktien und Anleihen anlegen. Dieser Teil des Klimafussabdruckes von Konzernen wird normalerweise nicht berücksichtigt. Eine neue Studie untersucht dies und liefert überraschende Resultate: Die angelegten Gelder verdoppeln den Fussabdruck von Meta (Muttergesellschaft von Facebook) und höheren jenen von Apple um 64%. Für Microsoft schätzt der Bericht, dass die Finanzmittel etwa gleich viel CO2-Emissionen verursachen, wie durch die Herstellung, den Transport und die Verwendung jedes Microsoft-Produkts in der Welt entstehen. Dem Bericht zufolge waren die Emissionen von Netflix im Jahr 2021 zehnmal höher als die Emissionen, die von allen Menschen auf der Welt verursacht werden, die über Netflix streamen. Viele dieser Firmen setzen sich für Nachhaltigkeit ein, waren sich aber des grossen Einflusses ihres Geldes nicht bewusst. Sie haben nun einen mächtigen Hebel, um sich als Investoren proaktiv für eine klimataugliche Finanzindustrie einsetzen. Das könnte eine grosse Chance sein, den Finanzsektor schneller zu dekarbonisieren. Mehr dazu im New Yorker.

Australiens Wahlen wecken Hoffnungen auf mehr Klimaschutz

Bis heute hat Australien keine wirksamen Massnahmen ergriffen, um den Klimawandel zu begrenzen. Doch nach den letzten Wahlen ist zu hoffen, dass sich dies ändert. Die neue Regierung unter Anthony Albanese (Mitte-Links Labor Party) verspricht, endlich eine ambitioniertere Klimapolitik einzuschlagen. Auch Grüne und klimamotivierte Unabhängige haben bei den Wahlen deutlich zugelegt. Australien war in den letzten Jahren mit verheerenden Waldbränden und Überschwemmungen konfrontiert. Mehr bei CNN.

Amerikaner*innen essen weniger Fleisch

Die Treibhausgasemissionen durch die Ernährung in den USA sind in den letzten 20 Jahren um 35% zurückgegangen.  Die Hauptursache: Amerikaner*innen essen nur noch gut zwei Drittel so viel Rindfleisch wie vor 20 Jahren, und auch der Konsum von Milchprodukten, Eiern, Hühnern und Schweinefleisch ist deutlich zurückgegangen. Mehr dazu in Anthropocene.

Neues zum Klimawandel

Rekordhohe CO2- und Methanemissionen

Die Coronapandemie hat den globalen CO2-Ausstoss nur vorübergehend gebremst. Gemäss den neusten Zahlen der Internationalen Energieagentur sind die weltweiten Emissionen aus der Verbrennung von Energie und aus industriellen Prozessen 2021 um 6% auf 36,3 Milliarden Tonnen gestiegen, den höchsten je berechneten Wert. Die zu Beginn der Pandemie erhobenen Forderungen, die staatliche finanzielle Unterstützung solle für einen grünen Wiederaufbau genutzt werden, sind missachtet worden. Der Anstieg der CO2-Emissionen war grösser als der pandemiebedingte Rückgang um 5,2% im Jahr 2020.

Die Konzentration des Treibhausgases Methan in der Atmosphäre steigt ebenfalls schneller und ist gemäss der US-Behörde NOAA höher als je zuvor seit Beginn der Messungen. Heute liegt die Methankonzentration fast dreimal mal so hoch wie vor Beginn der Industrialisierung. Bis heute sind die Ursachen des Anstieg der Methankonzentration nicht vollständig geklärt. Als eine Ursache gelten Lecks bei der Förderung von Erdöl und Erdgas. Es könnten aber auch Bakterien verantwortlich sein, die durch die Erwärmung von Boden und Gewässer mehr Methan produzieren. Wissenschaftler*innen sind besorgt, dass der Anstieg des biologischen Methans ein Signal für einen Kipppunkt sein könnte, der vom Menschen kaum mehr zu kontrollieren wäre. Mehr dazu bei Nature und unter spektrum.de.

Methanemissionen müssen drastisch gesenkt werden, um die globale Erwärmung auf unter 2°C zu begrenzen, dies unterstreicht eine neue Studie. Wenn nur die CO2-Emissionen gesenkt werden, der Ausstoss an kurzlebigen Treibhausgasen wie Methan und Russ aber nicht eingedämmt wird, beschleunigt sich die globale Erwärmung in den kommenden Jahrzehnten. Mehr dazu bei Inside Climate News.

Erreicht der Temperaturanstieg bereits bis 2026 die 1,5-Grad-Marke?

Bereits in den nächsten fünf Jahren könnte die globale Durchschnittstemperatur von Land- und Meeresoberflächen um 1,5°C über das vorindustrielle Niveau steigen. Die Weltwetterorganisation (WMO) beziffert die Wahrscheinlichkeit, dass die wichtige Temperaturmarke bis dann mindestens in einem Jahr überschritten wird, auf 50%. 2015 hatte die WMO die Wahrscheinlichkeit noch auf 0% eingeschätzt, 2020 dann auf 20% und letztes Jahr bereits auf 40%. Die WMO betont, die Marke von 1,5°C sei ein Indikator, ab wann die Klimaauswirkungen für die Menschen und den gesamten Planeten zunehmend schädlich würden. Mehr dazu im Guardian und in der NZZ (Paywall).

Die Erwärmung der Landflächen ist etwa doppelt so hoch wie die globale Durchschnittstemperatur. In Europa und Asien liegen die Temperaturen im Winter bereits 3°C über dem vorindustriellen Niveau. Eine Studie des Oeschger-Zentrums und des Geographischen Instituts der Universität Bern zeigt, dass es im Winterhalbjahr seit den 1940er Jahren deutlich wärmer ist als im 18. und im 19. Jahrhundert. Die Forscher*innen nutzten historische Quellen zu Naturbeobachtungen, unter anderem systematische Aufzeichnungen über das Gefrieren und Tauen vieler Flüsse von Sibirien bis Kanada. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte die Luftverschmutzung durch die Verbrennung fossiler Treibstoffe zu einer schwachen Abkühlung bis 1970, seither nimmt die Erwärmung im Winter wieder stark zu. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (Paywall).

Wetterextreme: Hitzewelle in Südostasien und Überschwemmungen in Afrika

Von März bis Mai herrschte in Indien, Pakistan und anderen Teilen Asiens glühende Hitze. Die extreme Hitze begann Anfang März und erreichte Ende April in Indien Temperaturen von über 47°C und im Mai in Pakistan fast 50°C. Die Temperaturen lagen bis um zu 8,5°C über den Durchschnittswerten. Die Hitze verursacht einen Anstieg hitzebedingter Todesfälle, Ernteausfälle und Waldbrände. Vielerorts kommt es auch zu Stromausfällen, unter anderem durch den Einsatz von Klimageräten. Als Reaktion plant die indische Regierung mehr Kohle zu fördern, um daraus Strom zu erzeugen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger, bei Carbon Brief und der NY Times.

Der Klimawandel macht solche extreme Hitzewellen in Indien und Pakistan deutlich wahrscheinlicher. Eine Studie des britischen Wetterdienstes kommt zum Schluss, dass diese Extremereignisse, die früher einst alle drei Jahrhunderte erwartet wurden, nun im Schnitt alle drei Jahre auftreten, also 100mal häufiger. Laut einer anderen Attribution-Studie hat sich deren Wahrscheinlichkeit durch den Klimawandel um den Faktor 30 erhöht. Mehr dazu im Guardian und in der NY Times.

In Südafrika haben extreme Regenfälle im April 2022 zu Überschwemmungen und Erdrutschen geführt. Innert zwei Tagen war so viel Regen wie sonst in einem ganzen Jahr gefallen. Mehr als 400 Menschen starben, 12’000 Häuser wurden zerstört und 40’000 Menschen vertrieben. Der Klimawandel hat solche Wettextreme wahrscheinlicher und intensiver gemacht, wie eine neue Attribution-Studie zeigt, die den Einfluss quantifiziert. Die Wahrscheinlichkeit solcher Extremen hat sich aufgrund der Klimaerwärmung verdoppelt. «Dies ist nur der Anfang einer Reihe von extremen Wetterereignissen, die mit dem Klimawandel zusammenhängen», sagte Ibrahima Cheikh Diong, der Leiter von African Risk Capacity, die afrikanische Regierungen unterstützt, sich auf Umweltkatastrophen vorzubereiten. «Afrika trägt am wenigsten zur Verschmutzung bei und leidet am meisten unter dem Klimawandel.» Mehr dazu bei Carbon Brief und im Guardian.

Weitere Studien von World Weather Attribution, einer Initiative, der unter anderem das Imperial College in London, die Princeton University und die ETH Zürich angehören.

In den Weltmeeren droht ein Massensterben

Durch den Klimawandel steigt weltweit die Temperatur der Meere, gleichzeitig sinkt der Sauerstoffgehalt, und das Wasser wird durch die Aufnahme von CO2 zudem sauer. Diese Faktoren führen zu drastischen Veränderung der Weltmeere und können zu einem Massensterben von Meeresarten führen, falls der CO2-Ausstoss nicht rasch und stark reduziert wird. Zu diesem Schluss kommt eine in Science veröffentlichte Studie. Besonders bedroht sind kälteliebenden Arten der Polarregionen: Wird das Meerwasser zu warm, können sie nicht in kältere Gewässer fliehen. Laut den Autor*innen der Studie kann das Ausmass des Massensterbens eingedämmt werden, falls die Klimaerwärmung auf unter 2°C begrenzt wird. Durch Verschmutzung und Überfischung sind bereits heute 10-15% der Meeresarten vom Aussterben bedroht. Mehr dazu im Guardian und in der NY Times.

Grosse Korallenbleiche in Australiens Great Barrier Reef

Trotz El Niña, einem Wetterphänomen, das normalerweise zu kühleren Temperaturen führt, haben überdurchschnittlich hohe Wassertemperaturen im Spätsommer eine Korallenbleiche im gesamten 2300 km langen Riffsystem Australiens verursacht. In 91% der untersuchten Riffe am Great Barrier Reef wurden dieses Jahr Korallen entdeckt, die ihre symbiotischen Zooxanthellen abgestossen hatten. Wird das Wasser wieder kühler, können die Korallen diese kleinen farbenprächtigen Algen, welche die Korallen mit Zucker und Stärke versorgen, wieder aufnehmen. Passiert das nicht, werden die Korallen weiss und sterben nach einer gewissen Zeit ab. Mehr dazu im Guardian.

Bild: Wissenschaftler untersuchen gebleichte Korallen

Quelle: ARC Centre of Excellence/flickr

Häufigere und intensivere Hurrikane durch den Klimawandel

2020 traten im Nordatlantik 30 Stürme auf, was die Hurrikansaison zur aktivsten seit Beginn der Aufzeichnungen machte. Eine neue Studie zeigt den Einfluss des Klimawandels auf. Zwischen 1850 und 2020 führte die Klimaerwärmung zu einem Anstieg der Meeresoberflächentemperaturen im Nordatlantik um 0,6°C. Diese zusätzliche Energie hat laut den Studienautor*innen die Stürme in der Region intensiviert und zu einem Anstieg der Extremniederschläge um 10% geführt. Mehr dazu bei Carbon Brief und in der NY Times.

Die Bewohner*innen der Karibik und der Golfküste sind zunehmend damit konfrontiert, dass sich Stürme in Küstennähe plötzlich verstärken und länger anhalten, nachdem sie auf Land treffen, wie eine weitere Studie zeigt. Aufgrund der globalen Erwärmung der letzten 40 Jahre hat sich die Wahrscheinlichkeit für eine extreme Hurrikansaison wie 2020 verdoppelt. Mehr dazu bei Inside Climate News.

Auch der Golf von Bengalen war 2020 von einem verheerenden Wirbelsturm betroffen. In Bangladesch waren 750’000 Menschen von Überschwemmungen betroffen, in Indien über 400'000. Eine Studie zeigt, dass diese Stürme aufgrund des steigenden Meeresspiegels in Zukunft grösseren Schaden anrichten werden. Wenn ein vergleichbares Ereignis im Jahr 2100 eintritt, werden bis dreimal mehr Menschen den Fluten ausgesetzt sein. Mehr dazu in Carbon Brief.

UN-Bericht warnt: 4 von 9 planetaren Grenzen sind überschritten

Der Mensch hat enorme Auswirkungen auf die Erde – mit weitreichenden Folgen für den Klimawandel, die Ernährungssicherheit und die biologische Vielfalt. Inzwischen sind vier von neun Grenzen für die sichere Nutzung der Ressourcen der Erde durch den Menschen bereits überschritten worden: Klimawandel, Verlust der Artenvielfalt, Landnutzung und geochemische Kreisläufe. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht der United Nations Convention to Combat Desertification. Gemäss dem Uno-Bericht hat der Mensch bereits mehr als 70% der Landfläche der Erde verändert und 40% degradiert. Die Nahrungsmittelproduktion und -verarbeitung sind für 80% der Entwaldung und 29% der Treibhausgasemissionen verantwortlich, und sie gelten auch als Hauptursache für den Verlust der biologischen Vielfalt an Land. Mehr dazu bei Carbon Brief.

Der Klimawandel beschleunigt das Insektensterben

Der dramatische Rückgang der Insektenpopulationen auf der ganzen Welt gilt als Alarmzeichen für den Zustand der Biodiversität. Als grösste Bedrohung gilt der Verlust von Lebensräumen, doch vermehrt gerät auch der Klimawandel als Auslöser in den Fokus. Eine in Nature veröffentlichte Studie des UCL Centre for Biodiversity & Environment Research zeigt, wie sich diese beiden Faktoren verstärken. Dazu untersuchten Forscher*innen 750'000 Proben von weltweit rund 6000 Standorten und verglichen die Artenvielfalt von Insekten in verschiedenen Gebieten, abhängig davon wie intensiv die Landwirtschaft in dem Gebiet betrieben wird und wie stark sich das Klima in der Vergangenheit bereits erwärmt hat. In Gebieten mit intensiver Landwirtschaft und erheblicher Klimaerwärmung war die Zahl der Insekten um die Hälfte geringer als in den natürlichsten Lebensräumen ohne Klimaerwärmung, und es wurden 29% weniger verschiedene Arten gezählt. In tropischen Gebieten war der Rückgang der biologischen Vielfalt der Insekten am grössten. Laut den Autor*innen dürfte die Studie die Verluste durch menschliche Einflüsse unterschätzen, da die Insektenvielfalt bereits vor dem Zeitraum, für den Proben vorliegen, abgenommen hat. Mehr dazu in the conversation.

Erhöhtes Risiko von Pandemien durch den Klimawandel

Die Welt wird heisser und kränker: Durch den Klimawandel kann sich die Anzahl neuer Virusübertragungen zwischen Tieren deutlich erhöhen. In den nächsten 50 Jahren soll es mindestens 15’000 Fälle geben, bei denen Viren von einer Art auf eine andere überspringen, was Tiere und Menschen gefährdet und das Risiko weiterer Pandemien mit sich bringt. Davor warnt eine in Nature publizierte Studie. Die Erderwärmung wird viele Tierarten dazu zwingen, in neue Gebiete zu ziehen. Dabei werden sie ihre Parasiten und Krankheitserreger verschleppen. Diese können sich zwischen Tierarten ausbreiten, die bisher nicht in Kontakt waren. Dadurch erhöht sich auch das Risiko von Zoonosen, bei denen Viren von Tieren auf Menschen übertragen werden. Mehr dazu im Guardian und bei Carbon Brief.