Ein zwei-monatlicher Newsletter für Menschen, die sich zum Klimawandel informieren möchten. Zusammengestellt von Anja Kollmuss und Thomas Schenk. Die Dezember 2022 Klima-Zeitung gibts hier als PDF.
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Inhaltverzeichnis
Schweiz
- Die Schweizer Klimapolitik in der Kritik
- Wie schnell wird die Solarenergie ausgebaut?
- Windräder auf der Greina-Ebene? Schutzgebiete unter Druck
- Notkraftwerk Birr droht die Umwelt stark zu belasten
- Suppe, Sekundenkleber und Strassenblockaden – nützen oder schaden sie?
- Auch der Oktober war viel zu warm
- Die Nationalbank soll nicht stärker auf Klimaschutz verpflichtet werden
- Klimarelevante Entscheide von Bund und Kantonen
Internationale Klimaverhandlungen
- Erstmals sollen reiche Länder für Klimaschäden bezahlen
- Länder haben Klimaversprechen nicht verbessert
- USA und China wollen wieder gemeinsam Klimaschutz betreiben
- UNO geht gegen Greenwashing vor
- Australien erfolgreich verklagt
- Wir sind nun 8 Milliarden Menschen
- EU verabschiedet Klimaziele für Mitgliedsstaaten
- EU verabschiedet Klimaziele für den Waldsektor, aber…
- Gruppe von EU-Staaten will Klimaschutz vorantreiben
- EU beschliesst aus für Diesel- und Benzinautos ab 2035
- Ukraine-Krieg beschleunigt den Ausbau erneuerbarer Energien
- Tödliche Hitzewelle und Dürre in Europa
- Verheerende Überschwemmungen und Hitzewellen in Afrika
- Klimawandel verursacht Kosten von bis zu 30 Billionen Dollar
- Grönlandeis und Antarktis sind laut WMO ernsthaft bedroht
- Wildtierbestände innert 50 Jahren um 69% gesunken
- Das 1,5-Grad-Ziel wird immer unrealistischer
- Steigende Gefahr durch Hitzewellen
- Klimataugliche Landwirtschaft: Weniger Fleisch, mehr Wald
- Forschungs zu Klimawandel und Verhalten
- Visionen für ein Leben nach dem Klimawandel
- Zum Schluss: ABC des Klimawandels
Schweiz
Die Schweizer Klimapolitik
in der Kritik
Die Abkommen für Kompensationsprojekte, welche die Schweiz mit anderen Staaten abschliesst, stossen auf Widerstand. Die NY Times wirft einen kritischen Blick auf die Vereinbarungen, die unter anderem mit Georgien, der Ukraine, Senegal und Thailand vorliegen. Im November wurde ein weiteres Abkommen mit Ghana unterzeichnet; es hat das Ziel, klimafreundliche Methoden für den Reisanbau zu fördern. Im Bericht der NY Times wird die Fairness solcher Verträge angezweifelt, wenn die reiche Schweiz ärmere Länder dafür bezahle, dass sie in ihrem Namen Emissionen reduzieren. Weiter wird befürchtet, dass mit solchen Vereinbarungen Projekte finanziert werden, die bereits am Laufen sind. Japan und Schweden haben angekündigt, dass sie ähnliche Vereinbarungen anstreben. Mehr dazu in der NZZ (paywall) und auf heidi.news.
Auch am Netto-Null-Ziel der Schweiz gibt es Kritik. Die Schweiz müsse das Ziel nicht erst 2050 erreichen, sondern bereits 2035, fordert Jürg Rohrer von der ZHAW in einer Studie. Wird das verbleibende, globale CO2-Budget nach Bevölkerungszahlen auf die einzelnen Länder aufgeteilt, müsste die Schweiz ihre Emissionen ab sofort bis 2037 linear auf nett-null reduzieren. Ein späterer Zeitpunkt sei unfair gegenüber jenen Ländern, die bisher wenig CO2 ausgestossen hätten. Eine schnellere Dekarbonisierung sei machbar und würde sich volkswirtschaftlich sogar auszahlen, betont Roher mit Verweis auf andere Untersuchungen.
Im internationalen Klima-Rating «Climate Change Performance Index» (CCPI) ist die Schweiz vom 15. auf den 22. Platz und damit ins Mittelfeld zurückgefallen. Dabei wurden die Klimapolitik, die Treibhausgasemissionen, der Energieverbrauch und Massnahmen für erneuerbare Energien berücksichtigt. Der Bericht weist darauf hin, dass die Umsetzung von Klimaschutzmassnahmen nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes im Vorjahr noch immer ausstehe.
Dass das Parlament in der Herbstsession dem Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative zugestimmt hat (woraufhin das Initiativkomitee den Vorstoss zurückzog), ist im CCPI-Rating noch nicht berücksichtigt.
Die SVP hat, wie bereits im September angekündigt, das Referendum gegen den Gegenvorschlag ergriffen. Laut der Aargauer Zeitung kann die Partei dabei nicht auf die Unterstützung des Schweizerischen Hauseigentümerverbands zählen. Wie schon in früheren Diskussion um Klimaschutzmassnahmen argumentiert die SVP mit fragwürdigen Zahlen, wie nau.ch berichtet. Die Organisation Klimastreik Schweiz unterstützt den Gegenvorschlag, auch wenn die Ziele und Massnahmen nicht ausreichten, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Die Abstimmung wird voraussichtlich am 18. Juni 2023 stattfinden.
Wie schnell wird die
Solarenergie ausgebaut?
Das dringliche Bundesgesetz zum Ausbau der Solarenergie, welches das Parlament in der Herbstsession 2022 verabschiedet hat, gibt weiterhin zu Reden. Mit dieser «Solaroffensive» soll die Stromproduktion im Winter bis 2025 um zwei Terawattstunden (TWh) erhöht werden. Zum Vergleich: 2021 wurden in der Schweiz fünf TWh Strom aus erneuerbaren Energien produziert (ohne Wasserkraft). Mit dem neuen Gesetz wird der Bau grosser Freiflächenanlagen erlaubt, das Bewilligungsverfahren verschlankt und darüber hinaus werden die gesetzlichen Anforderungen für die Erhöhung der Grimsel-Staumauer gelockert. Einen Überblick über den Konflikt zwischen dem Ausbau erneuerbarer Energie und der Schwächung bei Umwelt- und Landschaftsschutz liefert die Republik.
Für den Bau alpiner Solaranlagen standen bisher die Oberwalliser Gemeinden Gondo (Zwischbergen) und Grengiols im Fokus. Doch es gibt auch Pläne für weitere. Das von der NZZ (paywall) vorgestellte Projekt im Vispertal wäre deutlich grösser und sieht zudem den Bau einer Staumauer und eines Ausgleichsbeckens vor, um mit dem Solarstrom ein Pumpspeicherkraftwerk zu betreiben. Auch ausserhalb des Wallis soll alpiner Solarstrom produziert werden. Die IG Solapine sucht in den Bergen der ganzen Schweiz nach Standorten, damit grosse Elektrizitätsversorger dort Anlagen errichten können. Der Interessensgemeinschaft haben sich unter anderem CKW, EWZ, EKZ und AET Tessin angeschlossen, berichtet die NZZ am Sonntag (paywall).
Konkrete Projekte für Solaranlagen über der Nebelgrenze verfolgt auch die Axpo. Der Stromkonzern will an mehreren Standorten in der Schweiz zusammen Strom für mehr als 300’000 Haushalte produzieren und dafür rund 1,5 Milliarden CHF investieren. Am weitesten fortgeschritten ist die Planung bei einer Anlage in der Gemeinde Tujetsch, GR, beim Stausee Nalps, wo bereits im Frühling 2024 mit dem Bau begonnen werden soll. Jürg Rohrer von der ZHAW weist darauf hin, dass mit den bereits angekündigten Projekten deutlich mehr als die im dringlichen Bundesgesetz vorgesehenen 2 TWh Strom produziert werden könnten. Bis zu dieser Menge können Anlagen nach einem stark vereinfachten Verfahren erstellt werden. Rohrer verlangt deshalb Kriterien, um eine Auswahl zu treffen, die neben den Gestehungskosten auch Biodiversität und Rückbaubarkeit berücksichtigt. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.
Dem Ausbau der alpinen Solarenergie stehen jedoch mehrere Hürden im Weg. Es fehlen Starkstromleitungen und Solarfachkräfte, und es gibt Widerstand aus der Bevölkerung. Laut der Sonntagszeitung (paywall) ist es unklar, wie der Strom der Solaranlagen vom Wallis in die Zentren des Mittellands gelangen soll. Eine Studie der Universität Genf und der HES-SO Wallis kommt zum Schluss, dass das Schweizer Stromnetz den Strom des Grengiols-Projekts derzeit nicht aufnehmen kann. Die nationale Netzgesellschaft Swissgrid ist zwar daran, die Kapazität der Stromleitungen im Wallis auszubauen. Diese seien aber frühstens 2028 in der Lage, den zusätzlichen Strom zu transportieren, schreibt Le Temps (paywall).
Widerstand gegen das Solarprojekt Grengiols Solar will die neu gegründete IG Saflischtal leisten. Gemäss dem Tages-Anzeiger (paywall) gehören der IG rund 200 Personen an. Sie wollen sich gegen das Projekt im unberührten Salfischtal wehren, einem Landschaftspark von nationaler Bedeutung.
Laut dem Branchenverband Swissolar können Solarfirmen derzeit rund 500 Stellen nicht besetzen. Bis 2035 müsste die Zahl der Fachkräfte auf 20’000 verdoppelt werden, um die erforderlichen Flächen zu installieren. Anfang November gab der Bund grünes Licht für neue Solarlehren zur Montage und Installation von Solaranlagen. Diese startet im Herbst 2024. In der Zwischenzeit setzen die Solarfirmen auf Quereinsteiger:innen, die einen fünftägigen Kurs zur Solarmonteur:innen durchlaufen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall).
Windräder auf der Greina-Ebene? Schutzgebiete unter Druck
Um die Produktion erneuerbarer Energien in Schutzgebieten zu ermöglichen, will die Umweltkommission des Ständerats den Schutzstatus der inventarisierten Landschaften und Naturdenkmäler (BLN) sowie der nationalen Biotopinventare schwächen, in denen Moore, Auen, Trockenwiesen sowie Amphibienlaichgebiete aufgeführt sind. Geht es nach dem Willen der Kommission, müsste das Parlament für jedes inventarisierte Gebiete einzeln entscheiden, ob es unter Schutz gestellt werden soll; gegen jeden dieser Beschlüsse könnte das Referendum ergriffen werden. Eine entsprechende Bestimmung soll im Mantelerlass zum Energie- und Stromversorgungsgesetz verankert werden. In betroffenen Gebieten, bei denen das Parlament den Schutzstatus verweigert, wäre der Bau von Energieanlagen möglich. In der Herbstsession hatte der Ständerat bereits entschieden, dass im Mantelerlass die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien ohne Wasserkraft bis 2035 auf 35 Terawattstunden erhöht werden soll. Als nächstes wird sich der Nationalrat mit dem Gesetz beschäftigen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.
Die Umweltkommissionen von National– und Ständerat wollen den Ausbau von Windanlagen beschleunigen. Dazu sollen die Beschwerdemöglichkeiten eingeschränkt werden. Auch der Bundesrat ist daran, die Bewilligungsverfahren anzupassen. Weil offen ist, ob es für den parlamentarischen Vorstoss eine Vernehmlassung braucht, steht noch nicht fest, ob die Vorlage bereits in der Wintersession ins Parlament kommt. Mehr dazu in der NZZ (paywall).
Notkraftwerk Birr droht die
Umwelt stark zu belasten
Im aargauischen Birr wird derzeit gebaut, damit bis Februar 2023 acht mobile Gasturbinen bereitstehen, falls der Strom knapp werden sollte. Beim Lärmschutz und der Luftreinhalteverordnung sind Ausnahmen vorgesehen, weil die Anlage zu hohen Emissionen führt. Wie hoch diese sind, hat die NZZ (paywall) berechnet: Das Notkraftwerk würde pro Tag 4800 Tonnen CO2 ausstossen, wenn es mit Heizöl betrieben wird, fast gleich viel wie die Stadt Zürich. Mit Erdas wäre der Ausstoss einen Viertel geringer. Es würden auch grosse Mengen an Stickoxid und Kohlenmonoxid emittiert. Gegen das Projekt ist inzwischen eine Einsprache eingegangen; dies hat allerdings keine Folgen, da das Kraftwerk unter Notrecht bewilligt wurde. Auch dass sich Anwohner:innen gegen das Projekt wehren, wird den Bau nicht verzögern. Mehr dazu in Aargauer Zeitung und im Tages-Anzeiger.
Suppe, Sekundenkleber und Strassenblockaden – nützen oder schaden sie?
Radikale Klimaproteste sorgen seit Wochen für Aufsehen und wütende Reaktionen in vielen Städten Europas und auch in der Schweiz. Treiben Aktionen der Aktivist:innen von Renovate Switzerland, Letzte Generation oder JustStopOil den Klimaschutz voran? Die Forschung liefert keine eindeutige Antwort. Gewisse Untersuchungen weisen darauf hin, dass solche Aktionen langfristig eine positive Wirkung haben könnten. Der österreichische Politikwissenschaftler Reinhard Steurer sagt dazu: «Die Klimakatastrophe wird wieder breiter diskutiert. In Zeitungsartikeln und Talkshows geht es nicht nur um die Aktionen, sondern auch um das Problem, gegen das die Aktionen sich richten. Das spiegelt sich vielleicht nicht unmittelbar in den Umfragen. Aber ich erwarte, dass es mittelfristig Effekte haben wird. Aller Diskurs ist besser als Schweigen.»
Andere Forscher:innen sind weniger zuversichtlich. Die US-amerikanische Soziologin Dana R. Fishe erwartet zwar von den Aktionen keinen Schaden, aber auch keinen Nutzen. Studien würden zeigen, dass diese Strategie nicht dazu führe, dass Menschen ihre Meinung änderten, sagte sie kürzlich in der Washington Post.
Eine bei Spiegel Online besprochene Studie kommt zum Schluss, dass eine grosse Mehrheit der Öffentlichkeit mehr Klimaschutz will (was sich mit vielen anderen Umfragen deckt), aber radikale Aktionsformen ablehnt. Viele Aktivist:innen sind sich das bewusst. Sie setzen jedoch darauf, dass ihre radikalen Proteste moderatere Klimaaktivist*innen und Initiativen als weniger bedrohlich erscheinen lässt und daher konsensfähiger macht; dies wird als «radical flank effect» bezeichnet. Allerdings zeigen Umfragen aus Deutschland, dass die Öffentlichkeit keinen Unterschied zwischen «radikalen» und «moderaten» Klimaschützer:innen macht. Sven Hillenkamp erklärt dazu in seinem Übersichtsartikel, dass sich radikale Proteste meist dann positiv auf die Sache auswirken, «wenn 1) die Zustimmung zu den Radikalen so anwächst, dass Regierungen versuchen, durch Zugeständnisse an die Moderaten den Radikalen den Wind aus den Segeln zu nehmen, und wenn 2) die «Moderaten sich von den Radikalen deutlich abheben und distanzieren.» Das ist jedoch in der Klimabewegung zurzeit nicht der Fall.
Die Studien sind jedoch nur Momentaufnahmen und widersprechen sich oft. Mehr bei Klimafakten.de, The Guardian, Tagesanzeiger (paywall), SRF. Eine detaillierte Analyse darüber, wie die ZürcherJustiz mit Klimaaktivist:innen umgeht, liefert die Republik.
Auch der Oktober war viel zu warm
Im laufenden Jahr wurden in der Schweiz weiterhin viel zu hohe Temperaturen gemessen. Laut MeteoSchweiz lagen die Durchschnittswerte im Oktober vielerorts um vier Grad über den Normwerten von 1991–2020. Seit Messbeginn wurden im Oktober noch nie so hohe Durchschnittstemperaturen gemessen. Die grosse Wärme wurde durch anhaltende West- und Südwestströmungen verursacht, die milde Luft zur Schweiz transportierten. Auch die Sonnenscheindauer lag an vielen Orten über den langfristigen Werten.
Die Nationalbank soll nicht stärker auf Klimaschutz verpflichtet werden
Die Nationalbank steht seit langem in der Kritik, mit ihrer Anlagepolitik zum Klimawandel beizutragen. Dennoch will der Bundesrat das Mandat der Schweizerischen Nationalbank (SNB) nicht mit Aufgaben zu Umwelt- und Klimaschutz erweitern. Das Mandat der SNB beschränke sich auf die Preisstabilität, heisst es in einem Bericht, in dem der Bundesrat auf das Postulat «Nachhaltigkeitsziele für die Schweizerische Nationalbank» antwortet. Es sei Aufgabe des Bundesrats und des Parlaments, konkrete Nachhaltigkeitsziele zu definieren und die dafür nötigen Instrumente zu beschliessen. Der WWF kritisiert den Entscheid des Bundesrats. Zahlreiche Zentralbanken und Finanzmarktaufsichtsbehörden hätten klar gemacht, dass die Biodiversitäts- und Klimakrise einen direkten Einfluss auf die Preis- und Finanzstabilität hätten und die Zentralbanken deshalb zur Eindämmung des Klimawandels und zum Stopp des Biodiversitätsverlusts beitragen müssten. Mehr dazu in der NZZ (paywall).
Die SNB-Koalition, der unter anderem Fossil Free Schweiz, Greenpeace, WWF Schweiz und das Forum Geldpolitik angehören, will künftig an Generalversammlungen der Schweizerischen Nationalbank Anträge einreichen können. Natürliche und juristische Personen werden deshalb aufgerufen, eine SNB-Aktie zu kaufen. Wenn sich 20 Aktionär:innen oder mehr zusammenschliessen, sind sie berechtigt, Anträge an der GV der SNB einzureichen.
Klimarelevante Entscheide von Bund und Kantonen
Der Kanton Basel-Stadt soll bis 2037 seine Treibhausgas-Emissionen auf Kantonsgebiet auf netto null senken. Der Gegenvorschlag zur Klimagerechtigkeits-Initiative wurde mit einer Mehrheit von fast zwei Dritteln angenommen. Die Initiative verlangte bereits bei 2030 eine Reduktion auf netto null. Sie wurde ebenfalls angenommen, doch bei der Stichfrage sprach sich die Mehrheit für den Gegenvorschlag aus. Mehr bei nau.ch.
Der Kanton Wallis will bis 2040 klimaneutral werden. Dies sieht der Entwurf des Klimagesetzes vor, welcher der Regierungsrat verabschiedet hat. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen um 50% gesenkt werden. Das Walliser Kantonsparlament wird nächstes Jahr über die Vorlage beraten. Mehr dazu bei nau.ch.
Der Kanton Zürich will bis 2050 rund 7% des kantonalen Strombedarfs mit lokaler Windenergie decken. Die neue Windstrategie sieht an über 40 Standorten 120 Windräder vor. Nach dem Willen des Zürcher Baudirektors Martin Neukomm sollen die kantonalen Gesetze angepasst werden, damit sich Gemeinden nicht mehr gegen einen Standortentscheid zur Wehr setzen können. Einzig gegen konkrete Baugesuche wären dann noch Einsprachen möglich. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall) und der NZZ (paywall).
Der Kanton Zürich will den Bau von Solaranlagen und Wärmepumpen erleichtern. Dazu will der Regierungsrat anstelle eines Baubewilligungsverfahrens ein Meldeverfahren einführen. Auch bei Fernwärmeanschlüssen und öffentlich zugänglichen Ladestationen für Elektroautos sollen Meldungen künftig ausreichen, schreibt die Aargauer Zeitung.
Der Kanton Genf will die Geothermie vorantreiben. Bis 2035 sollen 14% des Wärmebedarfs des Kantons mit Energie aus dem Erdinneren produziert werden, bis 2050 insgesamt 30%. Mehr dazu in der Aargauer Zeitung.
Internationale Klimaverhandlungen
Am 20.11.2022 gingen die 27. internationalen Klimaverhandlungen (COP27) in Scharm-el-Sheich zu Ende. Das Resultat ist mehrheitlich enttäuschend. Das hat nicht zuletzt mit der schlechten Organisation und Führung des Gastgerberlandes zu tun. Die ägyptischen Gastgeber wurden von vielen Seiten immer wieder stark kritisiert: für ihre schlechte diplomatische Vorbereitung (das A und O der Klimakonferenzen) und die Unterdrückung der Zivilbevölkerung. Patrick Hofstetter, Klimaverantwortlicher des WWFs, der seit 18 Jahren an den Klimakonferenzen teilnimmt, meint dazu in der in der Republik: «Die ägyptische Präsidentschaft war im Vorfeld sehr passiv und hat es nicht geschafft, ein gutes Momentum zu schaffen. Stattdessen organisiert sie Anlässe, an denen die Gasindustrie auf der Bühne sitzt und darüber spricht, wie der afrikanische Kontinent künftig mehr Erdgas verbrennen und verkaufen kann – also das Gegenteil von dem, was die Konferenz eigentlich will. Bis heute sollen bereits 12 Erdgas-Deals im Vorfeld und während der Klimakonferenz abgeschlossen worden sein.» Trotzdem gab es auch einige erfreuliche Resultate:
Erstmals sollen reiche Länder für Klimaschäden bezahlen
Der grösste Durchbruch wurde bei den Zahlungen für Klimaschäden erreicht. Reiche Länder sollen damit arme Länder bei der Bewältigung von Klimakatastrophen unterstützen.
Diese Zahlungen für Klimaschäden ist eines der umstrittensten Themen bei den Klimaverhandlungen. Seit mehr als drei Jahrzehnten drängen die Entwicklungsländer auf Gelder für solche Schäden und Verluste (Loss & Damage) und fordern von den reichen Industrieländern eine Entschädigung für Stürme, Hitzewellen und Dürren, die durch die globale Erwärmung verursacht werden.
Die Vereinigten Staaten und andere reiche Länder hatten sich jedoch lange gegen diese Idee gewehrt. Der jahrelange Druck von betroffenen Ländern und von NGOs hat geholfen, dies zu ändern. Im Vorfeld und in den ersten Tagen der COP hatten eine Reihe von EU-Mitgliedsstaaten, darunter Österreich, Belgien, Dänemark, Frankreich, Deutschland und Irland, sowie die Europäische Kommission, Zusagen zur Finanzierung von Verlusten und Schäden gemacht. Obwohl die meisten dieser Gelder nicht neu und zusätzlich sind, trug dieses Signal dazu bei, die Einrichtung des Fonds voranzutreiben.
Viele reiche Länder befürchteten, dass sie für ihre Treibhausgasemissionen rechtlich haftbar gemacht werden können. Um die Zustimmung dieser Länder zu sichern, ist im neuen Abkommen deshalb eine solche Haftung ausgeschlossen. Wie effektiv der Fonds sein wird, bleibt unsicher. Viele wichtige Details müssen noch diskutiert werden. Ein Ausschuss mit Vertreter:innen aus 24 Ländern wird sich im nächsten Jahr damit befassen, wie der Fonds genau aussehen soll, welche Länder einen Beitrag leisten sollen und wohin das Geld fliessen soll. Ein neuer Bericht schätzt, dass bis 2030 jährlich etwa 2 Billionen USD benötigt werden, um die Entwicklungsländer bei der Bewältigung der Klimakrise zu unterstützen (mehr dazu im Guardian). Nach Schätzungen der UNO müssten die wohlhabenden Nationen das Zehnfache der derzeitigen Mittel bereitstellen, um den Entwicklungsländern bei der Anpassung an den Klimawandel zu helfen.
Expert:innen gehen davon aus, dass es politisch einfacher sein wird, Vereinbarungen mit einzelnen Empfängerstaaten zu treffen, wie das zum Beispiel mit Indonesien und Südafrika für deren Kohleausstieg beschlossen wurde.
Länder haben Klimaversprechen nicht verbessert
Besonders besorgniserregend ist, dass am COP27 keine Fortschritte beim Ausstieg aus fossilen Brennstoffen erzielt wurden. Letztes Jahr auf der COP26 in Glasgow hatten sich die Staats- und Regierungschefs darauf geeinigt, alle Regierungen aufzufordern, ihre Klimapläne 2022 zu überarbeiten und zu verstärken. Das haben aber nur eine Handvoll Länder getan. Expert:innen haben errechnet, dass alle bisher eingereichten nationalen Pläne zu einer globalen Erwärmung von etwa 2,5 Grad führen würden. Das ist zwar eine leichte Verbesserung gegenüber den Schätzungen aus dem letzten Jahr, liegt aber deutlich über der 1,5- Grad-Grenze und setzt voraus, dass alle Pläne auch tatsächlich umgesetzt werden. Der Weltklimarat hat schon vor einigen Jahren klar gemacht, dass die globalen Emissionen bis 2030 etwa um 35% sinken müssten, um die Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu beschränken. Die bestehenden Klimaversprechen der Länder führen aber laut UNFCC bis 2030 zu deutlich höheren Emissionen. Ohne zusätzliche Bemühungen werden die weltweiten Emissionen 2030 über 50% höher sein als 1990, respektive etwa gleich hoch wie 2019 (mehr im Guardian, UNEP Emissions Gap Report 2022, Carbon Brief und UNFCC-NDC-Bericht).
Quelle: The Guardian
Auch bei der Klima-Anpassung wurde wenig erreicht. Der UNEP Adaptation Gap Report gibt einen Überblick zur Planung, Finanzierung und Umsetzung von Anpassungsmassnahmen. Mindestens 84% der Länder haben Anpassungspläne und -strategien aufgestellt. Das sind 5% mehr gegenüber dem Vorjahr. Allerdings fehlt es an Finanzmitteln, um diese Pläne und Strategien in die Tat umzusetzen. Reiche Länder haben sich zwar schon in Kopenhagen 2009 darauf geeinigt, die Anpassungsmassnahmen in Entwicklungsländer mitzufinanzieren, aber diese Finanzierung liegt 5-10 Mal unter dem geschätzten Bedarf, und die Lücke wird immer grösser.
Oft wird aufgrund der sehr langsamen Fortschritte gefragt, ob internationale Klimakonferenzen überhaupt nützlich seien. Dazu nochmals Patrick Hofstetter vom WWF in der Republik: «An der Konferenz geben wir der globalen Klimapolitik einen gemeinsamen Rahmen, an dem sich die Länder orientieren können. Das ist notwendig, weil sich dann auch die Wirtschaft daran ausrichtet. Dieser Mechanismus stimmt immer noch. Wenn es aber darum geht, zu fragen: Reicht das, was wir hier machen? Dann muss ich antworten: Nein, natürlich nicht. Wir benötigen zusätzliche globale Kooperation; neben der Klimakonferenz müssen sich auch Gefässe wie die G-7 und die G-20 mit neuen Klimalösungen befassen. Und es braucht Koalitionen von Ländern, die in Teilbereichen – zum Beispiel beim Kohleausstieg – weiter gehen wollen als die restliche Welt.» Mehr zu COP27: Carbon Brief, NY Times (paywall), swisscleantech.
Internationale Klimapolitik
USA und China wollen wieder gemeinsam Klimaschutz betreiben
China und die USA haben ihre Klimapartnerschaft erneuert. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern hatte einen Tiefpunkt erreicht, nachdem die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, im letzten Sommer Taiwan besucht hatte. Alle Verhandlungen wurden darauf von China abgebrochen, auch die Klimazusammenarbeit. Auf der COP26 in Glasgow hatten die beiden grössten Emittenten und Volkswirtschaften der Welt noch einen gemeinsamen Klimadialog angekündigt, um gemeinsam Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Es ist deshalb ein gutes Zeichen, dass die beiden Länder ihren Dialog nun wieder aufnehmen wollen. Mehr dazu im Guardian.
UNO geht gegen Greenwashing vor
Ein neuer UNO-Bericht kritisiert Unternehmen und Finanzinstitute, deren Netto-Null-Verpflichtungen «Schlupflöcher haben, durch die ein Diesel-LKW fahren könnte». Der Bericht kritisiert Netto-Null-Strategien, die auf Kompensation mittels billiger Zertifikate setzen. Der Bericht enthält eine Liste von Empfehlungen, die Unternehmen und andere nichtstaatliche Akteure befolgen sollten, um sicherzustellen, dass ihre Klimaversprechen glaubwürdig sind. So soll ein Unternehmen beispielsweise nicht behaupten können, netto-null zu sein, wenn es weiterhin in Infrastrukturen für fossile Brennstoffe oder in die Abholzung von Wäldern investiert.
Die UNO hat einen hochrangigen Ausschuss ins Leben gerufen, um Standards für Netto-Null-Ziele von Unternehmen und subnationalen Regierungen auszuarbeiten. In einem Jahr soll die 16-köpfige Gruppe ihre Empfehlungen veröffentlichen, mit dem Ziel, dass sie dann in nationale und internationale Gesetzgebungen integriert werden. Mehr dazu bei Reuters und Climate Change News.
Australien erfolgreich verklagt
Die neue Regierung Australiens hat ein Klimaschutzgesetz verabschiedet, das eine Emissionsreduktion von 43% bis 2030 vorsieht (im Vergleich zu 2005). Das neue Gesetz sieht unter anderem vor, dass bis zu diesem Zeitpunkt 82% der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien stammen sollen. Doch der grösste Beitrag Australiens zur Klimakrise sind nicht seine nationalen Emissionen sondern der Export fossiler Brennstoffe. Die Exporte haben sich seit 2005 fast verdoppelt: Das Land ist nun der drittgrösste Exporteur fossiler Brennstoffe weltweit und liegt damit nur noch hinter Russland und Saudi-Arabien. Mehr als 100 neue Projekte zur Förderung fossiler Energie sind in Planung oder werden bereits umgesetzt. Die Regierung will sich nicht verpflichten, die Projekte zu stoppen, da ein solches Verbot «wirtschaftliche Risiken» mit sich bringen würde.
Ein Whistleblower wirft der australischen Kohleindustrie vor, die Qualität der Kohle mit falschen Laborergebnissen aufgebessert zu haben. So soll die auf dem Kontinent geförderte Kohle mehr Wasser enthalten als angegeben. Dies führt dazu, dass beim Verbrennen mehr Schadstoffe entstehen. Die Behörden wüssten schon länger vom Vorfall. Eines der Testlabors soll sich im Jahr 2020 selbst angezeigt und gestanden haben, Kohlezertifikate gefälscht zu haben. Mehr dazu im Sidney Morning Herald und der NZZ (paywall).
Da sich Australien seit Jahrzehnten dagegen wehrt, eine effektive Klimapolitik zu betreiben, hat der UN-Menschenrechtsausschuss in einem Gerichtsfall entschieden, dass Australien es versäumt habe, die Bewohner:innen von vier Inseln in der Torres-Strasse vor den Auswirkungen der Klimakrise zu schützen, und hat das Land verpflichtet, für den entstandenen Schaden aufzukommen. Dies ist die erste erfolgreiche Klage dieser Art. Die Bewohner:innen der vor der Nordspitze Australiens gelegenen Inseln verlieren durch den steigenden Meeresspiegel Land, traditionelle Nahrungsquellen und kulturell bedeutende Stätte. Das Urteil wird Signalwirkung haben für andere Klimaklagen. Mehr dazu bei Monash-Universität, Nature und Reuters.
Wir sind nun
8 Milliarden Menschen
Die Weltbevölkerung hat sich in den letzten 100 Jahren vervierfacht. Im November gab die UNO bekannt, dass die Weltbevölkerung nun acht Milliarden erreicht hat. In nur 12 Jahren ist sie von 7 auf 8 Milliarden gewachsen. Bis in etwa 15 Jahren wir die Bevölkerung auf 9 Milliarden steigen, ein Zeichen dafür ist, dass sich die Wachstumsrate verlangsamt.
Die wachsende Bevölkerung trägt zu Klimawandel, Ressourcenverbrauch und dem Verlust der biologischen Vielfalt bei. Doch sind es die Länder mit den höchsten Einkommen, die die Umwelt am meisten belasten, und nicht diejenigen, in denen die Bevölkerung schnell wächst. Die reichsten 23 Länder sind für 50% der historischen Emissionen verantwortlich. Eine Oxfam-Studie zeigt auf, dass die reichsten knapp 1% der Weltbevölkerung, d. h. etwa 63 Millionen Menschen, für doppelt so viele CO2-Emissionen verantwortlich sind wie die ärmsten 3 Milliarden Menschen auf der Welt. Mehr zu Bevölkerung und Konsum bei Population Matters und auf diesem Podcast (beide auf Englisch).
Europäische Klimapolitik
EU verabschiedet Klimaziele für Mitgliedsstaaten
Die EU-Staaten haben sich im November auf die Revision der Effort Sharing Regulation (ESR) geeinigt, die derzeit etwa 60% der EU-Emissionen regelt. Die ESR legt verbindliche jährliche Reduktionsziele für die EU-Mitgliedstaaten fest, und zwar für die Sektoren Strassenverkehr, Gebäude, Landwirtschaft, kleine Industrieanlagen und Abfallwirtschaft. Das EU-weite Reduktionsziel für 2030 wurde von 30% auf 40% gegenüber dem Stand von 1990 angehoben. Die Reduktionsziele für die einzelnen Mitgliedstaaten basieren auf dem Pro-Kopf-BIP und der Kosteneffizienz und liegen zwischen 10 und 50%. Zum ersten Mal müssen nun alle EU-Länder ihre Treibhausgasemissionen reduzieren.
EU verabschiedet Klimaziele für den Waldsektor, aber…
Die EU erzielte auch eine Einigung über das dritte Dossier des Klimapakets «“Fit for 55 in 2030»: Die Revision der Verordnung über Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) soll die natürlichen CO2-Senken und die biologische Vielfalt verbessern.
Im LULUF Sektor sollen in 2030 310 Millionen Tonnen CO2-gespeichert sein, etwa 15% mehr als heute. Die Mitgliedstaaten müssen dazu bis 2030 die Mengen des gespeicherten CO2 linear erhöhen. Durch das LULUCF-Ziel wird das EU-Klimaziel für 2030 de facto von 55% auf 57% angehoben.
Das Europäische Parlament will ausserdem Holzschlag zur Energiegewinnung nicht weiter subventionieren. Nur noch Holzabfälle wie Sägemehl sollen als erneuerbar gelten und somit für Subventionen in Frage kommen. So können Wälder häufiger als langfristige CO2-Speicher genutzt werden, statt sie zu verfeuern. Trotzdem wird in vielen Ländern Europas immer noch zu viel Wald gerodet. Die Europäische Union schlug im Juni ein neues Gesetz vor (Nature Restoration Law), das vorsieht, bis 2030 20% der Wälder und Feuchtgebiete wieder in den Zustand zu versetzen, in dem sie vor 70 Jahren waren.
Doch dagegen regt sich in mehreren waldreichen EU Ländern Widerstand. Finnland, das zu 75% bewaldet ist, befürchtet, dass seine Holzindustrie dadurch deutlich weniger profitabel würde. Die finnische Holzindustrie hat in Erwartung des neuen Gesetzes die Abholzung sehr alter Bäume beschleunigt. Im Juli 2021 hatten zehn EU-Mitgliedstaaten (neben Finnland auch Deutschland, Österreich, die Tschechische Republik, Estland, Ungarn, Lettland, Polen, Rumänien und die Slowakei) in einem gemeinsamen Brief an die Kommission ihre «tiefe Besorgnis» über die Initiative zum Ausdruck gebracht. Die Staaten betonen, dass die Verantwortung für die Wälder bei den Mitgliedstaaten liege. Expert:innen machen jedoch deutlich, dass nach einem Jahrzehnt freiwilliger Massnahmen der Schutz der Wälder in den EU-Ländern unzureichend sei und dass sich dies ohne aktives Eingreifen der EU nicht ändern werde. Aufgrund der starken Abholzung sind die finnischen Wälder in diesem Jahr zum ersten Mal zu einer Netto-Emissionsquelle geworden. Mehr bei VDI, Öko Institut, Phys.org.
Ist die Nutzung von Holz gut fürs Klima? Die Antwort ist komplex. Holzheizungen sind zwar besser als Ölheizungen, aber bei weitem nicht CO2-neutral. Ein Artikel im NZZ-Magazin (paywall) erklärt die wichtigsten Aspekte dazu.
Gruppe von EU-Staaten will Klimaschutz vorantreiben
Im Oktober 2022, im Vorfeld der COP27, bildeten einige EU-Mitgliedstaaten die Gruppe von «Freunden für eine ehrgeizige EU-Klimadiplomatie» (GoF), um den Klimaschutz in den Mittelpunkt der EU-Aussen- und Sicherheitspolitik zu stellen. Die Gruppe will eine globale Energiewende und den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen international und auf EU-Ebene beschleunigen. Die Mitgliedsländer sind: Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Irland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Spanien, Schweden. Mehr bei Climate Diplomacy.
EU beschliesst aus für Diesel- und Benzinautos ab 2035
Von 2035 an dürfen in der EU nur noch Autos und leichte Nutzfahrzeuge neu zugelassen werden, die klimaneutral sind. Gebrauchtwagen mit Verbrennungsmotoren können aber weiterhin verkauft werden. Mehr beim EU Parlament und hier, hier und hier in der NZZ (paywall).
Ukraine-Krieg beschleunigt den Ausbau erneuerbarer Energien
Der Einmarsch Russlands in der Ukraine beschleunigt den globalen Wandel zu erneuerbaren Energien. Zwar verbrennen einige Länder dieses Jahr aufgrund der Erdgasknappheit mehr Kohle, doch dürfte dies nur von kurzer Dauer sein. Der jüngste World Energy Outlook der Internationalen Energieagentur (IEA) kommt zum Schluss, dass der Krieg in Russland und die dadurch ausgelöste weltweite Energiekrise die Abkehr von fossilen Brennstoffen beschleunigt haben.
Erneuerbare Energie ist in der Regel billiger und sicherer als das «fragile und nicht nachhaltige» Energiesystem fossiler Brennstoffe, so die IEA. Der weltweite Energiezuwachs wird in Zukunft «fast vollständig» durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Die globale Solarkapazität soll bis 2030 um 18% und die Windenergie um 14% höher sein, als noch im letzten Jahr erwartet wurde. Die IEA prognostiziert, dass die globalen CO2-Emissionen spätestens ab 2026 zurückgehen werden.
Eine separate Analyse zeigt, dass die CO2-Emissionen in der EU im Vergleich zum Vorjahreszeitraum seit vier Monaten am Sinken sind. Die Analyse bestätigt viele der Ergebnisse der IEA und zeigt, dass die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen aufgrund «hoher Preise» und «starker Wind- und Solarenergie» zurückgeht.
«Die Befürchtung, dass die Krise ein Rückschlag für den Klimaschutz sein wird, ist daher falsch», so die IEA. «Tatsächlich kann dies ein historischer Wendepunkt hin zu einem saubereren und sichereren Energiesystem sein.» Mehr bei Inside Climate News, Carbon Brief, IEA World Energy Outlook, NY Times (paywall).
Trotzdem macht es der weltweite Ausbau der Erdgas-Infrastruktur, mit dem die Energieversorgung kurzfristig gesichert werden soll, laut Forschenden des Climate Action Tracker schwieriger, die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall) und im Guardian.
Die sichtbare Klimakrise
Tödliche Hitzewelle und Dürre in Europa
Als Folge der Hitze sind in Europa in diesem Sommer 15’000 Menschen gestorben. Diese Zahl hat die Weltgesundheitsorganisation WHO aufgrund der Daten einzelner Länder ermittelt. In Deutschland wurden fast 4500 Todesfälle verzeichnet, in Spanien 4000 und in Grossbritannien 3200. Mehr dazu auf srf.ch. Der Guardian geht davon aus, dass europaweit sogar über 20’000 Personen aufgrund der hohen Temperaturen gestorben sind.
Die rekordhohen Temperaturen zusammen mit geringen Niederschlägen führte in Europa zur schlimmsten Dürre seit 500 Jahren. Flüsse trockneten aus, grosse Flächen waren von Waldbränden betroffen und es kam zu Ernteausfällen. Eine im Rahmen der World Weather Attribution initiative erstellte Studie kommt zum Schluss, dass ein solches Wetterextrem durch den Klimawandel 20mal wahrscheinlicher geworden ist. Dürren dieser Intensität wären in der nördlichen Hemisphäre in einer Welt ohne Klimawandel nur einmal alle 400 Jahre oder seltener zu erwarten. Unter den heute herrschenden klimatischen Bedingungen können sie alle 20 Jahre auftreten. Mehr dazu bei Carbon Brief und der NY Times.
Europa trifft die Erwärmung besonders heftig. Laut einer Studie der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) sind in Europa die Jahrestemperaturen von 1991 bis 2021 mehr als doppelt so stark gestiegen wie im globalen Durchschnitt. Pro Jahrzehnt betrug die Erwärmung 0,5°C. Auf keinem anderen Kontinent steigen die Temperaturen so deutlich. Europa hat einen hohen Anteil an Landmasse, die sich schneller erwärmt als das Meer, und ein relativ grosser Teil Europas liegt in den nördlichen Breitengraden, wo der Temperaturanstieg allgemein höher ausfällt. Die Studienautor:innen rechnen auch damit, dass der Temperaturanstieg in Europa weiterhin über dem globalen Durchschnitt liegen wird. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und im Guardian.
In der Arktis sind die Temperaturen in den letzten vier Jahrzehnten etwa viermal schneller gestiegen als im globalen Durchschnitt. Das führt zu häufigeren und intensiveren Waldbränden, wie eine in Science publizierte Studie zeigt. Anhand von Satellitendaten wurde ermittelt, dass in Sibirien allein in den Jahren 2019 und 2020 über zehn Millionen Hektar Wald abbrannte, fast gleichviel wie in den Jahren von 1982 bis 2018 zusammen. Auslöser dafür sind unter anderem erhöhte Luft- und Oberflächentemperaturen. Die Forschenden warnen davor, dass die Waldbrände von 2019 und 2020 bis zum Ende des Jahrhunderts zur Norm werden könnten. Mehr dazu in der NY Times. In einer ausführlichen Reportage berichtet der New Yorker, wie die Klimaerwärmung dem Permafrost in Sibirien zusetzt und welch gravierende globale Folgen dies hat.
Verheerende Überschwemmungen und Hitzewellen in Afrika
Über die Verheerungen durch extreme Wetterereignisse in Afrika berichten Medien ausserhalb des Kontinents nur selten. Diese Lücke hat Carbon Brief geschlossen und anhand von Katastrophendaten, Berichten von NGOs und Zeugenaussagen vor Ort die Situation untersucht. Seit Anfang 2022 sind durch Überschwemmungen, Wirbelstürme, Hitzewellen, Dürren und Waldbrände 19 Millionen Menschen betroffen und mindestens 4000 Menschen getötet worden. Weil die Auswirkungen afrikanischer Extremereignisse oft nicht erfasst werden, dürften die effektiven Zahlen deutlich höher liegen.
- Stark betroffen war Uganda, wo Dürre und Hungersnot zum Tod von 2500 Menschen führten.
- In Nigeria kamen bei den schlimmsten Überschwemmungen seit einem Jahrzehnt mehr als 600 Menschen ums Leben und 1,3 Millionen wurden obdachlos – weitere Infos beim Tages-Anzeiger und der NY Times.
- Im Tschad waren im August und Oktober fast zwei Millionen Menschen von Überschwemmungen betroffen.
- Die Länder des südlichen Afrikas, darunter Madagaskar und Mosambik, wurden in diesem Jahr von sechs schweren Stürmen heimgesucht, bei denen mindestens 890 Menschen ums Leben kamen.
- In Tunesien erreichten die Temperaturen im Juli 48 Grad Celsius und lösten extreme Waldbrände aus.
Die starken Niederschläge, die zu den Überschwemmungen im westafrikanischen Nigeria, Tschad und benachbarten Ländern führten, sind laut einer Studie durch den Klimawandel 80mal wahrscheinlicher geworden.
Klimawandel verursacht Kosten von bis zu 30 Billionen Dollar
Der Klimawandel hat die Weltwirtschaft bisher mit Kosten in Billionenhöhe belastet. Die Autor:innen einer Studie kommen zu dem Schluss, dass die weltweiten wirtschaftlichen Verluste aufgrund der zunehmenden Hitzewellen zwischen 1992 und 2013 zwischen 5 und 29 Billionen Dollar liegen. Die exakte Summe kann nicht ermittelt werden, weil viele Aspekte mit Unsicherheiten behaftet sind. Klar ist jedoch, dass einkommensschwache Länder in tropischen Regionen die Hauptlast dieser Verluste tragen, obwohl sie am wenigsten zur menschengemachten Klimaerwärmung beigetragen haben. Hier sank die Wirtschaftsleistung im Schnitt um 6,7%, während Länder mit hohem Einkommen nur einen Rückgang um 1,5% verzeichneten. Die Verluste werden unter anderem durch Hitzewellen und damit verbundenen Einbussen bei der Arbeitsproduktivität, bei der Nahrungsmittelproduktion und durch die schlechtere Versorgung mit Lebensmitteln verursacht. Mehr dazu bei Carbon Brief.
Grönlandeis und Antarktis sind laut WMO ernsthaft bedroht
Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) warnt in ihrem vorläufigen Global Climate 2022 Report vor einem raschen Anstieg des Meeresspiegels. Der Verlust der Eisschilde in Grönland und Teilen der Antarktis schreite immer schneller voran und sei weitgehend unumkehrbar. Seit 1993 hat sich der Meeresspiegelanstieg verdoppelt. Allein seit Januar 2020 stieg er um fast 10 mm und erreichte 2022 einen Höchststand. Ein Grossteil des Anstiegs führen die Forschenden auf das Abschmelzen der Eisschilde und nicht auf die thermische Ausdehnung des Wassers zurück.
Bereits vor dem Jahr 2050 dürfte das arktische Meereises komplett verschwinden, zeigt der Bericht State of the Cryosphere 2022 auf. Dies verstärkt die Erwärmung, da die Wasseroberfläche mehr Wärme absorbiert als Eis. Mehr dazu im Guardian.
Das Magazin beleuchtet in einer langen Reportage, wie die Klimaerwärmung dem Thwaites-Gletscher in der Antarktis zusetzt, weshalb die Klimaforschenden über dessen Abschmelzen besorgt sind und der Gletscher die Zukunft der Menschheit bestimmt.
Der gleichzeitig stattfindende Gletscherrückgang in Hochgebirgsregionen verschärft die Wasserknappheit in dicht besiedelten Teilen der Welt. Die Gletscherschmelze erhöht zudem das Risiko für Erdrutsche und katastrophale Überschwemmungen, wie in Yale Environment 360 für die Hochgebirge in Zentral- und Südasien aufzeigt wird.
Wildtierbestände innert
50 Jahren um 69% gesunken
Der «Living Planet Report» analysiert seit 1998 alle zwei Jahre das Aussterberisiko von verschiedenen Arten und den Zustand der wichtigsten Ökosysteme. Die Studie zeigt, wie gross die Bedrohung für die Fauna ist. Die Wirbeltierpopulationen (Fische, Vögel, Säugetiere, Amphibien und Reptilien) sind zwischen 1970 und 2018 um 69% zurückgegangen. Die Hauptursachen für den weltweiten Rückgang der Bestände sind der Verlust von Lebensräumen, Umweltverschmutzung, Klimakrise, Krankheiten sowie die Ausbreitung invasiver Arten.
Eine andere umfassende Studie befasst sich mit den Auswirkungen der Klimakrise auf Insekten. Die Autor:innen warnen, dass ohne eingreifende Massnahmen gegen die Klimakrise und zum Schutz von Insekten «unsere Fähigkeiten, eine nachhaltige Zukunft auf der Grundlage gesunder, funktionierender Ökosysteme aufzubauen, drastisch eingeschränkt werden.
Neues aus der Klimaforschung
Das 1,5-Grad-Ziel wird immer unrealistischer
Die weltweiten CO2-Emissionen, inklusive Landnutzung, stiegen 2022 um etwa 0,8% auf 40,5 Milliarden Tonnen. Laut dem Bericht Global Carbon Budget blieben die Emissionen aus der Landnutzung unverändert, während der CO2-Ausstoss von fossilen Brennstoffen und der Zementindustrie mit 36,6 Mrd. t einen Höchststand erreichte. Gesamthaft blieben die CO2-Emissionen nur knapp unter dem Stand von 2019 vor der Corona-Pandemie. Nach den Berechnungen des Global Carbon Project (GCP), das den Bericht verfasste, beträgt das verbleibende Kohlenstoffbudget, um die Erwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% auf unter 1,5°C zu begrenzen, noch 380 Mrd. t CO2. Beim aktuellen Ausstoss wäre das Budget in neun Jahren aufgebraucht. Um die globalen CO2-Emissionen bis 2050 auf Null zu senken, müssten sie jedes Jahr um etwa 1,4 Mrd. t sinken, vergleichbar mit dem Rückgang im Jahr 2020 infolge der Corona-Pandemie. Mehr dazu hier und hier bei Carbon Brief und in der NY Times.
Steigende Gefahr durch Hitzewellen
Die UNO und die IFRC (Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften) warnen vor der steigenden Gefahr durch Hitzewellen. Ihr Bericht zeigt auf, dass Hitzewellen in den kommenden Jahrzehnten einzelne Regionen in der Sahelzone, dem Horn von Afrika und Süd- und Südwestasien unbewohnbar machen könnten. Die Fachleute warnen davor, dass bis Ende des Jahrhunderts ebenso so viele Menschen an den Folgen von Hitze sterben werden wie an Krebserkrankungen. Mehr im Tages-Anzeiger.
Auch das Uno-Kinderhilfswerk Unicef warnt in einem neuen Bericht vor den Gefahren der Hitze. Bis 2050 werden fast alle Kinder der Erde häufigeren Hitzewellen ausgesetzt sein. Je häufiger, länger und heftiger die Hitzewellen seien, desto grösser seien die Auswirkungen auf Gesundheit, Sicherheit, Ernährung, Bildung und Zugang zu Wasser.
Wie uns extreme Hitzewellen zu schaffen machen, zeigt die NY Times in einem aufwendig produzierten Beitrag. Dafür wurden zwei Städte untersucht, die sich durch den Klimawandel bereits verändert haben – Kuwait City sowie Basra im Irak. Mit dem erwarteten Temperaturanstieg könnten künftig Milliarden Menschen vergleichbaren Gesundheitsrisiken ausgesetzt sein.
Klimataugliche Landwirtschaft: Weniger Fleisch, mehr Wald
Wird die Ernährung nach dem Vorbild der «Planetary Health Diet» umgestellt, liessen sich in Deutschland drei Viertel der Treibhausgase einsparen, die heute durch die Landwirtschaft entstehen. Zu diesem Schluss kommt eine im Auftrag von Greenpeace erstellte Studie des Öko-Instituts. Die EAT Lancet Kommission hatte 2019 die Grundlagen für eine nachhaltige und gesunde Ernährung für eine wachsende Weltbevölkerung beschrieben. Sie basiert darauf, dass nur ein Viertel der heutigen tierischen Produkte verzehrt wird, dafür doppelt so viel Obst, Gemüse, Nüsse und Hülsenfrüchte. Gleichzeitig werden Lebensmittel nach ökologischen Standards angebaut. Der grösste Beitrag zur Senkung der Treibhausgasemissionen stammt aus der grossflächigen Wiedervernässung von Mooren. Ein solches Ernährungssystem würde nur noch 56% der heute genutzten Ackerfläche und 45% der Grünlandfläche beanspruchen. Die dadurch verfügbar werdenden Flächen könnten zum Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln für den Export genutzt werden und so weitere 70 Millionen Menschen versorgen. Würden die Flächen bewaldet, könnten der Atmosphäre so viel CO2 entzogen werden, dass die Emissionen aus der deutschen Landwirtschaft fast komplettkompensiert würden.
Forschungs zu Klimawandel und Verhalten
Menschliches Verhalten ist nicht nur die treibende Kraft des Klimawandels, sondern auch entscheidend, um die Folgen zu bekämpfen. Die Zeitschriften Nature Human Behaviour und Nature Climate Change widmen sich in einem Fokusheft der Verhaltenswissenschaft und bieten eine breite Palette von Übersichtsartikeln, empirischer Forschung und Kommentaren zur Rolle des menschlichen Verhaltens rund um den Klimawandel.
Visionen für ein Leben nach dem Klimawandel
Der Wissenschaftsjournalist David Wallace-Wells hat in der NY Times zwei ausführliche, aufwändig illustrierte Artikel über die Folgen des Klimawandels publiziert, hier und hier. Darin gibt er sich nicht mehr so pessimistisch wie in seinem Beststeller «The Uninhabitable Earth: Life After Warming». Er weist darauf hin, dass vor ein paar Jahren noch die meisten Wissenschaftler:innen davor gewarnt hätten, dass der Business-as-usual-Pfad zu einer Erderwärmung von 4-5 °C führen werde. Nun liegen die Prognosen für diesen Pfad zwischen 2 und 3 °C. Die Gründe dafür sieht Wallace-Wells unter anderem im Preiszerfall bei den erneuerbaren Energien.
Wie stark die Menschheit in das Klimasystem eingegriffen hat, beschreibt Wallace-Wells hier anschaulich. Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre wird meist als Konzentration in ppm (parts per million) angegeben, dem Verhältnis von CO2-Molekülen zu allen anderen Molekülen in der Atmosphäre. Der Anstieg der CO2-Konzentration ist die Folge davon, dass wir in den letzten 100 Jahren 1 Billion Tonnen CO2, in die Atmosphäre emittiert haben. Zum Vergleich: 1 Billion Tonnen entspricht der gesamten Masse aller von Menschen auf der Erde gebauten Strukturen, von Autos und Containerschiffen über Gebäude bis hin zu allen Strassen- und Schienennetzen.
Zum Schluss: ABC des Klimawandels
Die grossartige Journalistin Elizabeth Kolbert hat für den New Yorker einen beeindruckenden neuen Artikel geschrieben: Climate Change from A to Z, The stories we tell ourselves about the future
Danke und Herzliche Grüsse von Anja und Thomas!
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