Klima-Zeitung

April 2023

Alle zwei Monate ordnen wir alles Wichtige zu Politik und Wissenschaft ein. Für Menschen, die in der Diskussion um die Klimakrise auf dem Laufenden bleiben möchten.

Schweiz

Will die Schweiz Klimaschutz?
Am 18. Juni entscheidet es sich!

Am 18. Juni findet die Abstimmung über das Klimaschutzgesetz statt, den indirekten Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative. National- und Ständerat hatten dem Gesetz zugestimmt; offiziell heisst es «Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit»). Es nimmt die Hauptforderung des Volksbegehrens auf: Bis 2050 soll die Schweiz Schritt für Schritt klimaneutral werden, und zwar so weit wie möglich durch die Reduktion des Treibhausgas-Ausstosses im Inland. Das Klimaschutzgesetz umfasst auch konkrete Massnahmen, um die Klimaziele zu erreichen: 2 Milliarden CHF sind für den Ersatz fossiler Heizungen vorgesehen, 1,2 Milliarden CHF für die Förderung neuer Technologien.

Die SVP hat das Referendum ergriffen und wird vom Hauseigentümerverband unterstützt. Die anderen Parteien und zahlreiche Verbände unterstützen die Vorlage. Im März lancierten rund 200 Organisationen, Verbände und Firmen die Ja-Kampagne, deren Motto lautet: «Schützen, was uns wichtig ist.». swisscleantech ist auch Mitinitiantin der Wirtschaftsallianz «Schweizer Wirtschaft für das Klimagesetz.». Auch die Kantone unterstützen das Klimaschutzgesetz. Mehr dazu bei watson.

Sichere Stromversorgung ohne Gaskraftwerke

Um in der Schweiz die Stromversorgung im Winter zu sichern, braucht es keine fossilen Kraftwerke. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der ZHAW, für die mehrere Untersuchungen zur Stromversorgungssicherheit in der Schweiz analysiert worden sind. Damit dies gelingt, muss laut Studienautor Jürg Rohrer, Professor für Erneuerbare Energien, ein minimaler Füllstand in den Schweizer Stauseen gewährleistet sein.

Der Bundesrat hat Anfang 2023 entschieden, fossile Kraftwerke mit einer maximalen Leistung von insgesamt 1000 Megawatt zu beschaffen, um eine allfällige Stromknappheit zu verhindern. Diese fossilen Reservekraftwerke würden mehrere Wochen vor einer absehbaren Strommangellage eingeschaltet, um die Speicherkraftwerke zu schonen, betont Jürg Roher. Bei einem überraschenden Ausfall von AKWs käme der Einsatz der fossilen Kraftwerke zu spät und könne eine Strommangellage kaum verhindern.

Um die Stromversorgung im Winter zu sichern, sind gemäss der Studie Wasserkraftreserven für die Stauseen nötig, die gesetzlich vorgeschrieben und überwacht werden müssen. Auch muss die erneuerbare Stromproduktion rasch ausgebaut werden. Und es braucht Effizienzmassnahmen, um im Winter mindestens 5% einzusparen. Mehr dazu in der Finanz und Wirtschaft.

Dass die Stromversorgung in der Schweiz mit erneuerbarer Energie gesichert werden kann, zeigt auch eine Studie der ETH Zürich. Dafür wurden verschiedene Energiemodelle analysiert, die das Solarunternehmen Helion, der Verband Swissolar sowie GLP-Nationalrat Jürg Grossen entwickelt hatten. Sie hatten die Studie in Auftrag gegeben. Gemäss der ETH-Analyse kann eine Stromversorgung, die vorwiegend auf Wasserkraft und Fotovoltaik aufbaut, die Stromnachfrage jederzeit bis ins Jahr 2050 garantieren. Dabei spielt die Solarenergie eine zentrale Rolle - bis 2050 soll die Hälfte der Stromproduktion aus der Fotovoltaik stammen. Mehr dazu in der Sonntagszeitung (paywall). Wie das Zusammenspiel von Wasserkraft, Solar- und Windenergie funktioniert, zeigt ein Arbeitspapier von Swissolar.

Bis heute hat der Bund Verträge mit drei fossilen Reservekraftwerken mit einer Leistung von insgesamt 336 MW abgeschlossen. Das Grösste steht in Birr (AG) und ist seit Ende März betriebsbereit. Zudem sind in Cornaux (NE) sowie in Monthey (VS) zwei kleinere Gaskraftwerk einsatzbereit. Am Klimastreik protestierten in verschiedenen Schweizer Städten Tausende von Menschen gegen die Bereitstellung der fossilen Reservekraftwerke, berichten watson und nau.ch.

So will der Nationalrat die Energieversorgung sichern

Der Nationalrat hat in der Frühlingssession den sogenannten Mantelerlass behandelt. Dieser kombiniert die Revision von Energiegesetz und Stromversorgungsgesetz und regelt die Weiterentwicklung des Energiesystems. An der Stossrichtung des Ständerats vom Herbst 2022 ändert sich nichts: Die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien soll massiv ausgebaut werden. Um das zu erreichen, sollen 15 Wasserkraftprojekte, auf die sich die Wasserwirtschaft und die Umweltverbände am runden Tisch geeinigt hatten, beschleunigt realisiert werden können (auf Infosperber werden die Umweltauswirkungen der Projekte analysiert). In einem Punkt korrigiert der Nationalrat jedoch den Ständerat: Der absolute Schutz von Biotopen von nationaler Bedeutung soll nicht aufgehoben werden. Dieser Schutz gilt jedoch nicht für neu entstehende Rückzugsgebiete von Gletschern; hier könnten Energieanlagen realisiert werden.

Für Neubauten, für umfangreiche Sanierungen von bestehenden Bauten und grosse Parkplätze will der Nationalrat eine Solarpflicht einführen (siehe srf.ch). Weiter will der Nationalrat den Einsatz von Batterien von Elektrofahrzeugen zur Stabilisierung des Stromnetzes fördern, indem Netzgebühren für diese dezentralen Stromspeicher abgeschafft werden. Und schliesslich soll die Energieeffizienz gefördert werden. Eine Zusammenfassung der Debatte liefert der Tages-Anzeiger (paywall).

Die Beschlüsse zum Mantelerlass stossen mehrheitlich auf Zustimmung. Der Wirtschaftsverband swisscleantech sieht darin einen wichtigen Schritt, um die Schweizer Stromversorgung mit erneuerbaren Energien zu stärken. Der Branchenverband Swissolar begrüsst, dass der Ausbau der Fotovoltaik gefördert und beschleunigt werden soll. Er bemängelt hingegen, dass die bis heute restriktiven Regelung für PV-Anlagen auf landwirtschaftlichen Flächen nicht gelockert wurden. Kritik kommt von der SVP, vor allem wegen der Solarpflicht; sie stimmte als einzige Partei gegen den Mantelerlass. Falls eine Solarpflicht eingeführt wird, will sie das Referendum ergreifen (mehr dazu bei nau.ch).

Ebenfalls auf Kritik stossen die Abstriche, die der Nationalrat beim Gewässerschutz macht. Bis 2035 sollen die Vorgaben im Gewässerschutzgesetz zur Restwassermenge ausgesetzt werden. Heute wird bei einer Neuvergabe der Konzession verlangt, die Restwassermenge zu erhöhen. Mit diesem Entscheid, berichtet die NZZ (paywall), lasse sich nur wenig zusätzliche Energie gewinnen, hingegen werde die ganze Vorlage gefährdet. Denn es gilt als sicher, dass die Umweltverbände dagegen das Referendum ergreifen, sollte der Ständerat den Entscheid in der Sommersession nicht korrigieren. Mehr dazu in der Wochenzeitung.

Auch die Windkraft soll beschleunigt ausgebaut werden

Der Nationalrat will den Ausbau der Windkraft beschleunigen. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen Bewilligungsverfahren von bereits fortgeschrittenen Windenergieprojekten vereinfacht werden. Damit soll eine zusätzliche Jahresproduktion von 1 Terawattstunde ermöglicht werden. Das entspricht der sechsfachen Menge, die Windanlagen heute in der Schweiz liefern. Ist eine projektierte Anlage im nationalen Interesse und liegt eine rechtskräftige Nutzungsplanung vor, inklusive Umweltverträglichkeitsprüfung, soll neu der Kanton die Baubewilligung erteilen können. Die Standortgemeinde ist nicht mehr am Verfahren beteiligt. Einsprachen sind nur noch an eine kantonale Instanz möglich. Das Bundesgericht kann nur noch bei Rechtsfragen von «grundsätzlicher Bedeutung» angerufen werden.

Der Schweizerische Gemeindeverband kritisiert den Entscheid, weil dadurch die Akzeptanz von Grossprojekten geschwächt werde. Der Verband fordert, dass Standortgemeinden mit einem sogenannten Windzins entschädigt werden – analog dem Wasserzins, den Elektrizitätsunternehmen an Kantone oder Gemeinden für die Nutzung der Wasserkraft entrichten müssen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall) und in der NZZ (paywall).

Die Wahl der Standorte der Windräder wird in nächster Zeit für viele Diskussionen sorgen. Sollen sie nur dort gebaut werden, wo es gemäss geltenden Gesetzen möglich ist? Oder auch an geeigneten Orten, für die das Raumplanungsgesetz gelockert werden müsste? Für die zweite Variante plädiert eine ETH-Studie. Sie rechnet vor, dass es für die im Windenergiekonzept vorgesehenen 4.3 TWh Winterstrom aus Windkraft, bis 2050 760 Windturbinen bräuchte. Gemäss der geltenden Raumplanung würde dies einen starken Ausbau in den Alpen nötig machen, vor allem in den Bündner und Walliser Bergen. Würden die Anforderungen an die Raumplanung gelockert, könnten auch windstarkes Ackerland und ackerfähige Wiesen im Mittelland für die Windenergie genutzt werden. Dafür bräuchte es knapp 200 Windanlagen in den Alpen weniger. Mehr dazu in der NZZ (paywall).

Weitere Hürden für den Solarexpress

Grosse Solaranlagen in den Alpen, die von Bundessubventionen profitieren wollen, müssen zahlreiche Auflagen erfüllen. Das zeigen die Verordnungsänderungen des Bundesrats, mit denen die im Herbst vom Parlament verabschiedete «Solaroffensive» umgesetzt wird. Um von der staatlichen Förderung (60% der Investitionskosten) zu profitieren, muss eine Anlage bis Ende 2025 mindestens 10% der geplanten Stromproduktion oder 10 Gigawattstunden Strom (der Bedarf von rund 3000 Haushalten) ins Netz einspeisen. Gerade für Anlagen an Standorten, wo bisher kein Netzanschluss vorhanden ist, wird dieser Zeitrahmen sehr knapp. Zudem muss eine rechtskräftige Baubewilligung für das Projekt vorliegen. Der Branchenverband Swissolar kritisiert, dass vom Bund bis heute keine Preisszenarien zur Strompreisentwicklung vorliegen und die Investoren deshalb keine Wirtschaftlichkeitsrechnung machen können. Mehr dazu auf srf.ch.

Wie viele der alpinen Solaranlagen rasch realisiert werden, ist auch aus anderen Gründen fraglich. So hat sich der Nationalrat in der Frühlingssession dagegen ausgesprochen, die Verfahren für alpine Solar- und Windanlagen zu vereinfachen. Die NZZ (paywall) weist darauf hin, dass die Projekte somit einer Planungspflicht unterstehen. Das heisst, sie müssen in die kantonalen Richtpläne aufgenommen werden. Bei vielen Projekten ist zudem unklar, wie der produzierte Strom zu den Verbraucher:innen gelangen soll. Heute fehlen die dafür nötigen Leitungen. Die Bewilligungsverfahren, um das Übertragungsnetz auszubauen, dauern mehrere Jahre. Mehr dazu in der Sonntagszeitung (paywall).

Angesichts des grossen Zeitdrucks für den Bau alpiner Solaranlagen befürchten Fachleuten einen Wildwuchs. Um Förderbeiträge zu erhalten, würden Solaranlagen nicht primär an günstigen Standorten gebaut, sondern dort, wo diese möglichst rasch installiert werden können. Dies will die IG Solalpine verhindern. Sie lanciert deshalb das Label «Solalpine», für das der Standort einer Anlage überprüft wird. Die Interessengemeinschaft sucht im Auftrag von Schweizer Elektrizitätsunternehmen nach geeigneten Standorten für Solaranlagen in den Bergen. Das Label schliesst Anlagen in geschützten und unberührten Landschaften aus. Zudem braucht es einen Anschluss ans Stromnetz in der Nähe. Mehr dazu bei srf.ch.

Das Solarprojekt in Grengiols im Walis dürfte das Label nicht erhalten. Die Solaranlage ist einem regionalen Naturpark geplant. Daran ändert auch nichts, dass die Initiant:innen die Anlage etwas reduziert haben - die beanspruchte Fläche für die Panels beträgt nicht mehr 6, sondern noch 3,4 Quadratkilometer. Das entspricht 350 Fussballfeldern und soll Strom für 200'000 Haushalte liefern. Zudem soll das nahe gelegene Wasserkraftwerk Chummensee als Pumpspeicherkraftwerk besser genutzt werden, um mehr Winterstrom zu produzieren. Neben der Gemeinde und den lokalen Stromversorgern sind auch die Elektrizitätswerke Zürich, die Groupe E und die Industriellen Werke Basel am Projekt beteiligt. Die IG Saflischtal wehrt sich gegen das Projekt. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und in der NZZ (paywall).

Das Parlament des Kantons Wallis will den Bau grosser Fotovoltaikanlagen in den Bergen beschleunigen. Die entsprechende Gesetzesänderung will auch in Naturlandschaften Anlagen erlauben. Kriterien für eine Standortwahl sind nicht vorgesehen. Dagegen haben Pro Natura und die Walliser Grünen das Referendum ergriffen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Seit Anfang Jahr vergibt der Bund Einmalvergütungen für grosse Fotovoltaikanlagen über Auktionen. Die erste Versteigerung hat die Erwartungen enttäuscht. Die ausgeschriebene Gesamtmenge an Solarleistung wurde nicht ausgeschöpft. Und weil sich nicht genügend Firmen und Privatpersonen beteiligten, kamen auch teurere Anlagen zum Zug. Die Schweizerische Vereinigung für Sonnenenergie kritisiert, dass dadurch grosse Produktionsanlage gegenüber kleinen Anlagen deutlich bevorteilt werden. In diesem Jahr sind drei weitere Auktionsrunden geplant. Mehr dazu auf srf.ch.

Erdgas: Sicherung der Versorgung oder geplanter Ausstieg?

Der Bundesrat hält auch im kommenden Winter 2023/2024 einen Engpass beim Erdgas für möglich. Deshalb hat er die Verordnung für eine Gasreserve um ein Jahr verlängert. Damit wird die Gasbranche verpflichtet, eine Reserve anzulegen, die rund 15% des jährlichen Gasverbrauchs der Schweiz beträgt.

Um die Gasversorgung zu sichern, sind auch Flüssiggasterminals ein Thema. Gegen das geplante Terminal bei Basel gibt es Kritik von Klimaschützenden. Der Solothurner Energieversorger Regio Energie hat einen Pilotbetrieb aufgenommen. Dabei wird eine kleinere Menge von Flüssiggas ins lokale Gasnetz eingespeist. Mehr dazu auf srf.ch.

Der WWF weist in einem Factsheet zu Erdgas, Biogas und Power-to-Gas darauf hin, dass die Klimakrise eine rasche Dekarbonisierung der Wärmeerzeugung verlange und dass deshalb das Gasverteilnetz in der Schweiz weitgehend zurückgebaut werden müsse. Die Gasbetreiber sind weiterhin von fossilem Gas abhängig: Biogas, das 2022 einen Anteil von rund 8% im Schweizer Netz hatte, wird knapp bleiben, und synthetische, aus Sonnen- und Windkraft hergestellte Gase sind zu teuer. Deshalb verlangt der WWF, dass die Gemeinden als Hauptaktionärinnen den Gasversorgern Ausstiegspläne mit einem definierten Enddatum vorschreiben. Als Beispiel gelten Zürich und Winterthur, wo die Gasverteilnetze bis 2040 zurückgebaut werden, und der Kanton Basel-Stadt, wo dies bereits bis 2037 erfolgt.

Bund verschenkt Emissions-zertifikate in Millionen Höhe

Seit 2013 sind Schweizer Zement- und Stahlwerke und weitere Firmen, die grosse Mengen an CO2 ausstossen, verpflichtet, am Emissionshandelssystem (EHS) teilzunehmen. Im Gegenzug sind sie von der CO2-Abgabe befreit. Das Onlinemagazin «Das Lamm» zeigt in einer siebenteiligen Serie grundlegende Schwächen des Systems auf. Im EHS können Firmen, die weniger Treibhausgase ausstossen, überschüssige Zertifikate an die Unternehmen verkaufen, die mehr CO2 ausstossen. Damit das funktioniert und der CO2-Ausstoss insgesamt sinkt, muss die Menge der Verschmutzungszertifikate beschränkt sein und Jahr für Jahr weiter sinken. Dies ist aber in der Schweiz nicht der Fall. Der Bund erliess den grössten Emittenten von 2013 bis 2020 drei Milliarden Franken an CO2-Abgaben und schenkte ihnen gleichzeitig Emissionsrechte im Wert von schätzungsweise 361 Millionen Franken. Damit sollte verhindert werden, dass die Firmen angesichts der CO2-Kosten ihre Produktion in ein anderes Land verlagern, aber es schwächt die Effektivität des EHS.

Anhörung zur Klimaklage der Klimaseniorinnen in Strassburg

Ende März hat am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg die öffentliche Anhörung zur Klimaklage des Vereins Klimaseniorinnen gegen die Schweiz stattgefunden. Die Klimaseniorinnen hatten die Schweiz 2016 wegen ungenügender Klimapolitik angeklagt; sie werden von der Umweltschutzorganisation Greenpeace unterstützt. Das Bundesgericht hatte die Klage 2020 abgelehnt.

Der Fall hat über die Schweiz hinaus grosse Bedeutung: Es ist das erste Mal, dass sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit einer Klimaklage befasst. Das Gericht muss klären, ob und welche menschenrechtlichen Verpflichtungen zur Eindämmung des Klimawandels bestehen. Gibt das Gericht den Klimaseniorinnen recht, müssten die 46 Mitgliedsstaaten des Europarats den Schutz vor den Folgen des Klimawandels verbessern. Mit einem Urteil wird in ein paar Monaten gerechnet.

Mehr zur Klage bei Greenpeace, beim EGMR, in der Süddeutschen Zeitung im Tages-Anzeiger (paywall) und in der NZZ (paywall). Eine ausführliche Analyse liefert der Strasbourg Observer. Und in der Republik erläutert die Klima­anwältin Roda Verheyen, wie sich das Verhältnis von Klimakrise und Justiz derzeit wandelt.

Neue Volksinitiativen: Stärkung oder Schwächung der Umwelt?

Die Jungen Grünen haben die im letzten Sommer lancierte Umweltverantwortungsinitiative eingereicht. Sie wollen die Schweiz dazu verpflichten, die Umweltbelastung deutlich zu reduzieren. Bei einer Annahme der Initiative hätte die Schweiz zehn Jahre Zeit, um in den Bereichen Klimaveränderung, Biodiversität, Wasserverbrauch, Bodennutzung sowie Stickstoff- und Phosphoreintrag nicht mehr Ressourcen zu verbrauchen, als ihr proportional zustehen. Mehr dazu bei nau.ch.

Schweizer Landwirte sollen mehr pflanzliche und weniger tierische Lebensmittel produzieren, und der Selbstversorgungsgrad der Schweiz soll von derzeit 50% auf mindestens 70% erhöht werden. Das fordert die sogenannte Vegi-Initiative. Urheberin des Vorstosses ist Franziska Herren, die bereits die Trinkwasserinitiative lanciert hatte. Mit der neuen Initiative will sie erreichen, dass auf den Ackerflächen weniger Futtermittel für Tiere angebaut und stattdessen mehr pflanzliche Lebensmittel produziert werden. Heute werden auf 60% der Schweizer Ackerflächen Futtermittel für die Fleischproduktion angebaut. Herren hat die Vegi-Initiative ohne Parteien und grosse Organisationen lanciert. Mehr dazu in der Sonntagszeitung (paywall).

Die Volksinitiative «Jede einheimische und erneuerbare Kilowattstunde zählt!» will den Ausbau der Wasserkraft auf Kosten der Natur beschleunigen. Hinter dem Volksbegehren steht der Verband der Kleinwasserkraftwerke. Die Initiative will die Versorgung mit einheimischem Strom als nationales Interesse in der Verfassung verankern. Naturschutzorganisationen befürchten, dass bereits belastete Gewässer Lebensräume dadurch noch stärker unter Druck geraten. Mehr dazu bei nau.ch.

Klimarelevante Entscheide von Bund und Kantonen

Der Bundesrat will das Nationalstrassennetz erweitern und dafür bis 2030 fast 12 Milliarden Franken ausgeben. Betroffen sind unter anderem Autobahnabschnitte zwischen Wankdorf und Kirchberg sowie Tunnelprojekte in Basel, Schaffhausen und St. Gallen. Der Vorschlag des Bundesrats geht an das Parlament. Kritiker:innen weisen darauf hin, dass Investitionen in Strassen zu mehr Verkehrsbelastung in Städten führen. Zudem werden im motorisierten Verkehr die Klimaziele seit Jahren verfehlt. Mehr dazu in der NZZ (paywall) und in der WOZ.

Obwohl die Landwirtschaft für 15% des CO2-Ausstosses der Schweiz verantwortlich ist, gibt es keine gesetzlichen Reduktionsziele. Und das bleibt so: Nach dem Ständerat hat auch der Nationalrat eine Forderung der SP und der Grünen abgelehnt. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und auf srf.ch.

Internationale Klimapolitik

Ölfirmen: gigantische Profite und riesige Subventionen

Ölkonzerne wie ExxonMobil, Shell, Chevron, TotalEnergies und BP haben im Jahr 2022 Rekordgewinne von total 200 Milliarden Dollar eingefahren. Shell allein machte 2022 mit 40 Milliarden Dollar den höchsten Gewinn in der 115-jährigen Geschichte des Unternehmens.

Doch diese Rekorde verblassen im Vergleich zu Saudi Aramco, das für 2022 einen Rekordgewinn von 161 Milliarden Dollar meldete, den grössten Jahresgewinn, den ein Ölkonzern je verzeichnet hat. Die Gewinne des grösstenteils in Staatsbesitz befindlichen Unternehmens stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 46%. Saudi Aramco hat sich zwar ein Klimaziel gesetzt, aber darin sind die Emissionen seiner Produkte (Scope 3) nicht enthalten. Diese machen aber weit über 80% seiner gesamten Emissionen aus. Mehr dazu bei Aramco, CNBC und im Guardian. Der Spiegel hat zudem einen Podcast dazu produziert: «Die schmutzigen Klimalügen der Ölindustrie: Grosse Konzerne wie Exxon liessen früh den Klimawandel erforschen».

Gleichzeitig meldete die Internationale Energieagentur (IEA), dass 2022 die weltweiten Subventionen für fossile Brennstoffe auf über eine Billion Dollar angestiegen sind. Am Uno-Klimagipfel 2021 (COP26) unterzeichneten 39 Länder und Finanzinstitutionen das Glasgow Statement und verpflichteten sich, die öffentliche Finanzierung fossiler Brennstoffe bis Ende 2022 zu beenden. Ein neuer Bericht von Oil Change International zeigt nun auf, wer der grössten 16 Unterzeichner gehandelt hat und wer nicht:

  • Acht Unterzeichner (Kanada, die Europäische Investitionsbank, das Vereinigte Königreich, Frankreich, Finnland, Schweden, Dänemark und Neuseeland) sind ihren Versprechen nachgekommen. Dadurch werden jährlich etwa 5,7 Mrd. USD weniger Subventionen an fossile Brennstoffe vergeben.
  • Vier Unterzeichnerstaaten (Belgien, die Schweiz, die Niederlande und Spanien) haben neue politische Massnahmen ergriffen, die die Unterstützung fossiler Brennstoffe zwar einschränken, aber grosse Schlupflöcher lassen.
  • Vier Unterzeichnerstaaten (Deutschland, Italien, Portugal und die Vereinigten Staaten) haben keine neuen oder aktualisierten Strategien veröffentlicht.

Positives und Negatives zur US-Klimapolitik

Abgabe auf Methan

US-Präsident Joe Biden unterzeichnete im vergangenen Jahr ein grosses Klimagesetz. Der Inflation Reduction Act umfasst vor allem Massnahmen und Subventionen in Milliardenhöhe für den Ausbau von erneuerbaren Energien. Er enthält aber auch eine Abgabe auf Methanlecks aus dem Öl- und Gassektor. Methan ist ein starkes Treibhausgas. Es speichert über einen Zeitraum von 20 Jahren 80 Mal mehr Wärme als CO2. In den USA ist der Energiesektor die grösste Quelle von Methanemissionen.

Ab 2024 soll eine Abgabe von 900 Dollar pro Tonne Methan aus der Öl- und Gasindustrie erhoben werden. Nach zwei Jahren steigt die Gebühr auf 1500 Dollar pro Tonne. Die Gebühr soll den Methanausschoss bis 2030 um knapp einen Fünftel reduzieren. Wenig erstaunlich wurde die Abgabe von der Öllobby stark kritisiert. Umweltschützer bemängeln hingegen die vielen Schlupflöcher. Die Methanabgabe hat so viele Ausnahmen, dass sie nur für 43% der Öl- und Gasanlagen gelten wird. Ausserdem werden Rinderfarmen, Mülldeponien und andere Quellen nicht berücksichtigt.

Neuer Zertifikatemarkt

Die US-Regierung will ausserdem ein grossen neuen CO2-Zertifikatemarkt entwickeln. Im Rahmen dieses Energy Transition Accelerator (ETA) sollen regionale oder staatliche Akteure in ärmeren Ländern Emissionsgutschriften erhalten, wenn sie ihre Energiesektoren dekarbonisieren. Die Zertifikate könnten sie dann an US-Unternehmen verkaufen. Die Regeln und Details des ETA sollen im kommenden Jahr entwickelt werden. Kritiker weisen darauf hin, dass erneuerbare Energien wie Wind und Solar inzwischen die billigsten Energiequellen geworden sind und sich diese Projekttypen daher nicht für den Zertifikatemarkt eignen. Erneuerbare Energieprojekte werden in der Regel realisiert, weil sie rentabel und nicht auf zusätzliche Einnahmen aus dem CO2-Zertifikatehandel angewiesen sind. Sie sind also in der Regel nicht zusätzlich – eine zentrale Bedingung von Zertifikaten. Zudem wurden Entwicklungsländern wie Südafrika, Vietnam und Indonesien unter der internationalen Just Energy Transition Partnership bereits grössere Summen versprochen, um ihren Stromsektor zu dekarbonisieren. Mehr zu den beiden Themen in der Financial Times (paywall) hier und hier.

Neue Öl- und Gasbohrungen und neue Schutzgebiete

Nach wochenlangen Verhandlungen hat die Regierung Biden im März 2023 ein grosses Öl- und Gasbohrprojekt in Alaska genehmigt. Das Projekt von ConocoPhillips soll in einer weitgehend unberührten Wildnis gebaut werden und in den nächsten 30 Jahren mehr als 600 Millionen Barrel Öl und Gas fördern. Dadurch werden jährlich rund 9,2 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen verursacht - das entspricht etwa dem jährlichen Treibhausgasausstoss von zwei neuen Kohlekraftwerken oder zwei Millionen zusätzlichen Benzinautos.

Im Wahlkampf hatte Biden versprochen: «Keine weiteren Bohrungen auf öffentlichem Land, Punkt. Punkt, Punkt, Punkt.» Die Regierung kam jedoch zu dem Schluss, dass ConocoPhillips vor Gericht gewinnen würde, um seinen Pachtvertrag zu erhalten, und bewilligte das Projekt zähneknirschend.

Die USA sind bereits der grösste Öl- und Gasproduzent der Welt und der drittgrösste Kohleverbraucher. In diesem Jahr werden sie auch der weltgrösste Exporteur von flüssigem Erdgas sein. In den ersten zwei Jahren ihrer Amtszeit hat die Regierung Biden mehr Öl- und Gasfördergenehmigungen erteilt als die Regierung Trump zu diesem Zeitpunkt. Obwohl der Inflation Reduction Act zu Recht als das bedeutendste US-Klimagesetz gefeiert wird, deuten selbst optimistische Analysen darauf hin, dass die US-Ölproduktion in den nächsten zehn Jahren dadurch nicht reduziert wird. Ein neuer Bericht zeigt, dass Subventionen für erneuerbare Energien allein nicht ausreichen, sondern, dass es Politikinstrumente braucht, die den Abbau der fossilen Infrastruktur verpflichtend machen.

Es gibt auch noch eine positive Nachricht aus den USA: Die Regierung hat den Schutz von grossen Gebieten und Gewässern in Alaska angekündigt. Fast 3 Millionen Hektar der Beaufortsee im Arktischen Ozean sind auf unbestimmte Zeit von der Verpachtung für Erdöl- und Erdgasabbau ausgeschlossen. Ausserdem wurden 13 Millionen Hektare «ökologisch sensibler» Sondergebiete in Alaska unter Schutz gestellt.

Mehr bei Reuters und im NY-Times-Newsletter von David Wallace-Wells. Dieser kann hier abonniert werden (paywall).

China baut die Kohlekraft weiter aus

2022 hat China mehr als 100 GW neue Kohlestromproduktion genehmigt, das sind über 700 neue Kraftwerke, vier Mal mehr als im Jahr davor. China baut etwa sechsmal mehr Kohlekraftwerke als der Rest der Welt zusammen. China produziert fast 60 Prozent seiner Elektrizität aus Kohle. Die meisten der neuen Kohleprojekte wurden in Provinzen genehmigt, die in den letzten zwei Jahren aufgrund von Hitzewellen lähmenden Stromausfällen ausgesetzt waren. Dies führt zu einem Teufelskreis; höhere Treibhausgasemissionen beschleunigen Klimawandel undder führt zu häufigeren extremen Wetterereignissen. Zwar fördert China auch den Ausbau erneuerbarer Energien, doch der schiere Umfang der Genehmigungen für neue Kohlekraftwerke machen die Klimaversprechen Chinas wenig glaubwürdig. Mehr dazu bei Firstpost, Center for Research on Energy and Clean Air (CREA) und Globalenergymonitor.

Quelle: IEA Coal 2022

Europäische Klimapolitik

Wasserstoff aus Atomstrom soll als erneuerbar gelten

Die Europäische Kommission hat zwei langersehnte delegierte Rechtsakte vorgelegt, welche die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) der EU ergänzen. Im Fokus steht dabei die Festlegung, wie künftig aus Strom hergestellte Brenn- und Kraftstoffe nicht biogenen Ursprungs (renewable fuels of non-biological origin, RFNBOs), wie Wasserstoff, definiert werden. Diese Brenn und Krafstoffe spielen eine tragende Rolle bei der Dekarbonisierung der europäischen Wirtschaft.

Enthalten im Rechtsakt für die Wasserstoff-Herstellung ist das «Zusätzlichkeitskriterium». Um Wasserstoff als «erneuerbar» deklarieren zu dürfen, soll er nur mit zusätzlich installierten Erneuerbaren hergestellt werden dürfen – also nicht durch Strom aus dem bestehenden Netz.

Ausnahmen gibt es. So etwa wenn der Strommix des Netzes aus mindestens 90% erneuerbarer Energie besteht oder wenn der Netzstrom vergleichsweise «CO2-arm» ist. Gemäss diesen Anforderungen kann in Ländern mit einem hohen Anteil an Atomstrom im Strommix, etwa in Frankreich, «erneuerbarer» Wasserstoff mit Netzstrom erzeugt werden. Die Umweltverbände kritisieren dies scharf – nachzulesen etwa beim Deutschen Naturschutzring und bei European Environmental Bureau. Rat und Parlament der EU müssen den Rechtsakten noch formell zustimmen. Ein Veto gilt als unwahrscheinlich.

Einigung zur Erneuerbaren-Energien-Richtlinie

Europäische Kommission, Parlament und Rat haben sich Ende März auf die Anpassung der Renewable Energy Directive (RED) geeinigt. Bis 2030 soll der Anteil Erneuerbare am Gesamtenergieverbrauch auf 42,5 Prozent steigen; bisher betrug das Ziel 32%. Gegenüber heute entspricht dies fast einer Verdopplung. Umwelt-NGOs forderten mindestens 55%, um mit dem Pariser Abkommen kompatibel zu sein. Zudem wird stark kritisiert, dass Atomkraft in die RED Einzug erhalten hat und Energie aus Biomasse weiterhin gefördert werden darf, obwohl die Umwelt- und Klimabilanz oft schlecht ist. Eine Übersicht zum Beschluss hat Euractiv angefertigt.

Verbrenner-Aus ist doch kein Aus

Verbrennungsmotoren dürfen auch nach 2035 neuzugelassen werden. Allerdings nur, wenn sie mit sogenannten synthetische Kraftstoffen (e-Fuels) und ohne fossile Kraftstoffe laufen. Die Europäische Kommission legte bereits 2021 einen Entwurf im Rahmen des Fit for 55-Programms vor, wonach neue Verbrennungsmotoren im PKW-Bereich nach 2035 gänzlich nicht mehr zugelassen werden sollen. Der Vorschlag der Kommission wurde von den meisten Mitgliedsstaaten breit unterstützt.

Kurz vor der finalen Abstimmung legte die deutsche Bundesregierung überraschend und entgegen bisherigen Absprachen ein Veto ein. Dass nun auch weiterhin mit e-Fuels betriebene PKWs zugelassen werden dürfen, ist nicht zuletzt auf das vehemente Betreiben der FDP zurückzuführen. Die FDP – und damit die Bundesregierung – konnte sich trotz anhaltender Kritik anderer europäischer Mitgliedsstaaten durchsetzen.

E-Fuels stehen in der Kritik, wenig effizient zu sein und dringender in anderen Bereichen als den PKW-Verkehr gebraucht zu werden. Auch grosse Automobilhersteller gestehen ein, künftig nicht auf e-Fuels setzen zu wollen. Sie sehen den Markt der Zukunft in direkt elektrisch betriebenenPKWs.

Agrarkraftstoffe

Schon heute werden Bio-Kraftstoffe – gewonnen aus Raps oder Mais oder Gülle – im Verkehrsbereich genutzt. Doch die Klimabilanz ist ernüchternd. In einer neuen Studie im Auftrag der NGO Transport & Environment (T&E) wurde festgestellt, dass man etwa doppelt so viel CO2 einsparen könnte, wenn man die Fläche, die für Agrarkraftstoffe benötigt wird, renaturiert. Das entspräche etwa 65 Millionen Tonnen CO2. Würden auf der Fläche Lebensmittel kultiviert werden, könnte man zusätzlich 120 Millionen Menschen ernähren.

Auch energetisch sind Biokraftstoffe ineffizient. Nur 2,5 Prozent der derzeit für Agrarkraftstoffe genutzten Fläche würden gebraucht, um mittels Photovoltaik dieselbe Menge an Energie zu produzieren. Umweltschutzorganisationen wiesen unlängst auf diese Missstände hin. Weitere Informationen auch zu Wechselwirkungen und Pfadabhängigkeiten gibt es beim Klimareporter.

Green Deal Industrial Plan & Net Zero Industry Act

Als Antwort auf den 700 Mrd. Dollar schweren US Inflation Reduction Act (IRA), der die US Industrie stark begünstigt, stellte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen Mitte März den «Net-Zero Industry Act» (NZIA) als Teil des Green Deal Industrial Plans vor. Damit soll die europäische Widerstandsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Produktion emissionsfreier Technologien gestärkt und das Energiesystem sicherer und nachhaltiger gestaltet werden. Bis 2030 sollen mindestens 40% der Produktionskapazitäten dieser Technologien innerhalb der EU-Grenzen liegen. Die EU-Kommission möchte verhindern, dass diese zentralen Wirtschafts- und Industriebereiche in die USA abwandern. Auch der Critical Raw Material Act und die Reform des Europäischen Strommarktdesigns sollen den Green Industrial Plan unterstützen. Ausführlichere Informationen zum NZIA sowie Green Industrial Plan sind etwa bei Carbon Brief oder bei table.media zu lesen. Eine Problemanalyse zum NZIA ist auch bei Sandbag zu finden.

EU-Diplomatie für globalen «fossil phase out»

Anfang März haben sich die EU-Mitgliedsstaaten auf eine gemeinsame Position zur «Klima- und Energiediplomatie» mit Blick auf die Weltklimakonferenz in Dubai (COP28) Ende des Jahres geeinigt. Die EU will einen weltweiten Ausstieg aus fossilen Energieträgern bis spätestens 2050 sowie den Umstieg auf ein emissionsfreies Energiesystem systematisch vorantreiben. Die Klima- und Energiediplomatie wird als zentraler Baustein der EU-Aussenpolitik gesehen. Dem klimaschädlichen Erdgas wird dabei eine Übergangsrolle zugeschrieben. Ferner sollen auch etwa «kohlenstoffarme» Technologien gefördert werden. Dahinter verbirgt sich oftmals auch Atomkraft (siehe Abschnitt zu Wasserstoff aus Atomstrom weiter oben). Bereits bei vergangenen Klimakonferenzen wurde versucht, ein globales Zugeständnis für den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energien zu erreichen. Weitere Informationen bietet Euractiv oder bei Reuters.

An der Uni in Barcelona wird die Klimakrise Pflichtfach für alle

Alle 14'000 Studierenden der Universität in Barcelona sollen ab 2024 ein Pflichtmodul zur Klimakrise belegen. Die Universität Barcelona hat sich dem Druck der siebentägigen "End Fossil"-Demonstration gebeugt und ein weltweit einzigartiges Programm beschlossen. Ausserdem wird die Universität ein Schulungsprogramm zu Klimafragen für ihre 6’000 akademischen Mitarbeiter:innen entwickeln. Mehr dazu im Guardian.

Deutschland

Klimaschutzziel 2022 nur knapp eingehalten

Deutschland erreichte seine Emissionsziele 2022 nur knapp. Die Gesamtemissionen sanken im Vergleich zum Vorjahr um etwa zwei Prozent. Aufgrund der fossilen Energiekrise und den damit verbundenen Preissteigerungen bei Erdgas wurde mehr Kohle zur Strom- und Wärmegewinnung importiert und verbraucht; dennoch wurden die Sektorziele knapp erreicht. Im Industriesektor führten die höheren Energiekosten zu einer Verminderung von Treibhausgasen von 10%. Zwei Sektoren stechen erneut negativ hervor. Der Gebäudesektor schaffte es trotz massiver Einsparungen etwa beim Heizen nicht, die Ziele zu erfüllen – bereits zum dritten Mal in Folge. Die zuständigen Ministerien haben im vergangenen Sommer bereits Politikmassnahmen vorgestellt, damit das 2030-Ziel eingehalten werden kann. Dazu gehört die Einführung der sogenannten 65-Prozent-Vorgabe für neue Heizungen (siehe unten). Im Verkehrssektor mangelt es jedoch weiterhin an adäquaten Klimaschutzmassnahmen. Statt zu sinken, nahm der Ausstoss beim Verkehr im Vergleich zum Vorjahr sogar zu. Das Umweltbundesamt erklärt dies unter anderem mit den tieferen Preise für Benzin und Diesel aufgrund des «Tankrabatts» im Sommer 2022. Ausführliche Informationen sind hier zu finden. Die Zahlen werden übereinstimmend mit dem Bundes-Klimaschutzgesetz nun vom Expertenrat für Klimafragen überprüft und bewertet.

Einigung bei zentralen Streitthemen der Ampel-Regierung

Ende März einigten sich die Parteispitzen der drei regierenden Parteien SPD, Grüne und FDP in strittigen Klimathemen der Ampel-Regierung. So soll es im Klimaschutzgesetz künftig keine sektorspezifische Betrachtung mehr geben. Vielmehr wird in einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung geschaut, ob die langfristigen Klimaschutzziele eingehalten werden. Damit entfallen auch die Sofortprogramme, die angedacht sind, wenn ein Sektor die Ziele nicht erreicht – wie etwa zuletzt im vergangenen Jahr für den Gebäudesektor. Umwelt- und Klimaschützer:innen kritisierten diesen Beschluss scharf: das Klimaschutzgesetz werde als zentrales, politisches Klimaschutzinstrument Deutschlands entkernt und die Verantwortung zum Handeln genommen.

Die Koalition einigte sich auch darauf, Planungs- und Genehmigungsverfahren für den Ausbau der Erneuerbaren zu beschleunigen und massive Investitionen in den Ausbau des Schienennetzes zu tätigen. Auch die umstrittene 65-Prozent-Vorgabe (siehe unten) wurde angepasst. Eine Übersicht ist hier zu finden.

Wärmewende – hitzige Diskussion um Verbot fossiler Heizungen

Ein Entwurf zur Anpassung des Gebäude-Energie-Gesetzes (GEG), der vorzeitig publik wurde, hat über Wochen die politische Debatte in der Bundesrepublik dominiert. Grösster Streitpunkt innerhalb der Regierungsparteien sind die Erfüllungsoptionen, mit denen die 65-Prozent-Vorgabe umgesetzt werden soll. Diese sieht vor, dass bei einem Heizungstausch neuinstallierte Heizungen mit mindestens 65 Prozent erneuerbarer Energie betrieben werden sollen. SPD und FDP pochten auf «Technologieoffenheit». Sprich: Alle denkbaren Optionen zur Zielerreichung sollen unter Gesichtspunkten der Marktwirtschaft zugelassen werden. Die Grünen sahen vor allem in Wärmepumpen sowie in der Transformation der Wärmenetze die zentralen Lösungen der Wärmewende.

Anfang April ging ein geeinigter Gesetzesentwurf nach langer Auseinandersetzung nun in die Verbände und Länderkonsultation. Ab 2045 soll der Betrieb fossiler Heizungen gänzlich untersagt werden. Zur Umsetzung der 65-Prozent-Vorgabe sollen neben den von den Grünen präferierten Technologien nun auch weitere Optionen zugelassen werden. So auch Heizungen, die «Wasserstoff-ready» sein sollen; also fossile Erdgasheizungen, die auf Wasserstoff umgestellt werden können, sofern ein Wasserstoffnetz gebaut wird. Gerade der Einsatz letzterer Optionen wird auch aufgrund der fehlenden Verfügbarkeit, mangelnder Effizienz sowie unabsehbaren Kosten für Verbraucher:innen seitens Natur- und Umweltschutzverbänden stark kritisiert.

Das Gesetzesvorhaben hat gewaltiges Potential für den Klimaschutz im Gebäudesektor und kann ein grosser Hebel für die sozialgerechte Wärmewende darstellen – entscheidend ist der finale Beschluss. Es soll noch vor der Sommerpause den Bundestag passieren, sodass die neuen Regelungen wie geplant ab Januar 2024 in Kraft treten können.

Umsetzung der EU-Notfallverordnung

Die sogenannte «EU-Notfallverordnung» wurde bereits im Dezember seitens der EU beschlossen und im März 2023 in Deutschland umgesetzt. Hintergrund ist die durch den russischen Angriffskried getriebene fossile Energiepreiskrise. Ziel der Verordnung ist es, schneller von russischen Energieimporten unabhängig zu werden. Planungs- und Genehmigungsprozesse sollen vereinfacht werden, damit sich die Erneuerbaren Energien und Stromnetze schneller ausbauen lassen. So entfällt etwa in bereits ausgewiesenen Ausbaugebieten die Pflicht der Umweltverträglichkeitsprüfung und der artenschutzrechtlichen Prüfung, solange eine weniger anspruchsvolle strategische Umweltprüfung vorliegt. So sollen Prozesse um bis zu einem Jahr beschleunigt werden. Zur Umsetzung wurden zentrale Gesetze wie das Windenergieflächenbedarfsgesetz oder das Bundesnaturschutzgesetz geändert. Die neuen Regelungen gelten für Projekte, die vor dem 30. Juni 2024 begonnen werden.

Gipfel für Wind und Sonne

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck hat im März Branchenvertreter:innen und Vertreter:innen der Bundesländer zu zwei Gipfeln geladen. So wurden mit nur wenigen Tagen Abstand voneinander der Solar- sowie der Windgipfel abgehalten. Nachdem im vergangenen Jahr bereits grosse Hürden beim Ausbau der Erneuerbaren durch zahlreiche Gesetzesänderungen genommen wurden, sollen nun weitere folgen. So soll das Ziel von 80 Prozent Erneuerbaren im Strommix bis 2030 erreicht werden. Auch wurden Strategien und Massnahmenpakete vorgestellt, um weitere Hürden abzubauen und den Ausbau der Wind- und Sonnenenergie zu beschleunigen. Im Fokus stehen etwa die Bereitstellung genügender Flächen, die für den Ausbau benötigt werden, der Mangel an Fachkräften, die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsprozessen sowie der Abbau bürokratischer Hürden. Beide Strategien wurden von Ländern und Verbänden konsultiert. Darauf aufbauend wird das Wirtschaftsministerium bis zum Sommer beide Strategien finalisieren und Gesetzesänderungen erarbeiten. Hier sind die Pressemitteilungen des Ministeriums zum Solargipfel und zum Windgipfel zu finden.

Neues aus der Klimawissenschaft

Weltklimarat warnt in neuem Synthesebericht einmal mehr

Nach Jahren unbezahlter, harter Arbeit und einer Woche durchgehender Verhandlungen in Interlaken haben die Wissenschaftler:innen des Weltklimarats (IPCC) Ende März 2023 den sechsten Synthesebericht veröffentlicht. Das 2’500 Seiten umfassende Dokument enthält eine enorme Menge an Fachliteratur, über 13‘500 Artikel werden darin zitiert.

Zusammengefasst sagt der Bericht: Die Folgen der Klimakrise sind bedrohlicher und treten schneller ein als bisher angenommen. Es gibt noch Handlungsspielraum, aber es muss sofort gehandelt werden. Was im letzten Synthesebericht von 2013 noch eine Vorhersage war, ist Wirklichkeit geworden: Starkniederschläge, Hitzewellen und Trockenheit. Der Klimawandel ist kein Zukunftsszenario mehr. Trotzdem bleibt Handeln essentiell: Jedes Zehntelgrad Erwärmung, das verhindert wird, macht einen Unterschied im Bezug auf Hitzeextreme, Starkniederschläge, Trockenheit und Gletscherschmelze.

Bis heute haben wir den Planeten um 1,1 Grad erhitzt. Schon jetzt ist es wärmer, als es in 125.000 Jahren jemals war – und die Oberflächen Temperatur ist seit mindestens 2000 Jahren nicht mehr so schnell gestiegen wie zuletzt, vielleicht sogar seit Menschen auf der Erde leben.

In den 2030er Jahren wird die Erwärmung 1,5 Grad erreichen. Landgebiete erwärmen sich dabei etwa doppelt so rasch wie der globale Durchschnitt. Der Durchschnitt wird zu 70% aus Meerestemperaturen gebildet – diese steigen weniger stark an, weil Meere ein viel grösseres Volumen haben. In der Schweiz beträgt die Erwärmung bereits 2,5 Grad. Die Welt droht sich aber noch wesentlich stärker als 1,5 Grad zu erwärmen: Selbst wenn die Regierungen die versprochenen Klimaschutzbemühungen umsetzen, führt dies zu einer Erwärmung von 2,8 Grad. In Europa würde die Temperatur um rund 6 Grad steigen.

Quelle: Zeit (paywall)

Schuld daran sind grösstenteils die reichen Industriestaaten. Die am wenigsten entwickelten Länder haben viel niedrigere Pro-Kopf-Emissionen (1,7 t - 4,6 t CO2e) als der weltweite Durchschnitt (6,9 t CO2e). Die 10% der Haushalte mit den höchsten Pro-Kopf-Emissionen – dazu gehören auch wir Schweizer:innen – verursachen 34-45 % der globalen Treibhausgasemissionen, während die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung nur 13-15 % beitragen.

Dabei würde es sich durchaus lohnen, zu handeln. Der IPCC schreibt: Der wirtschaftliche Nutzen des 2-Grad-Ziels liegt in den meisten Studien höher als die Investitionen, die für Klimaschutz nötig sind. Dabei sind noch nicht einmal die Schäden eingerechnet, die durch den Klimawandel verursacht werden. Allein die Vorteile für die menschliche Gesundheit durch saubere Luft könnten die Investitionen in Klimaschutzmassnahmen mindestens ausgleichen.

Der Klimawandel verstärkt Naturkatastrophen: Starkregen wird stärker, Hitzeperioden werden intensiver und damit tödlicher, Böden werden trockener, Wirbelstürme werden heftiger und richten mehr Zerstörung an. Der IPCC spricht von «eskalierenden Verlusten und Schäden». Fast die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Regionen, die durch den Klimawandel besonders gefährdet sind, und leidet zumindest während eines Teils des Jahres unter schwerer Wasserknappheit. Sauberes Trinkwasser und Lebensmittel fehlen oft, weil Landwirtschaft unter diesen Extrembedingungen schwierig ist. In vielen Gebieten, warnen die Autor:innen des Berichts, stossen Menschen bereits an die Grenzen, um uns an solch gravierende Veränderungen anzupassen. Wetterextreme sind «zunehmend der Grund für Flucht und Migration».

Aber nicht nur die Menschen sind betroffen. Der Bericht hält fest, dass in Zukunft vor allem der Klimawandel das seit Jahren fortschreitende Artensterben noch verschärfen wird. Seit 1970 sind die Wirbeltierpopulationen von Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Amphibien und Fischen im Durchschnitt um 69% geschrumpft. Fast eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht.

Quelle: Zeit (paywall)

Der letzte Abschnitt des Berichts ist die «Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger», die von IPCC-Wissenschaftler:innen verfasst, aber von Regierungsvertretern aus aller Welt geprüft wird. Diese können auf Änderungen drängen - und tun es auch. Den Delegierten aus Brasilien und Argentinien, gelang es zum Beispiel, dass alle Hinweise auf die negativen Auswirkungen von Fleisch gestrichen wurden, auch die Empfehlungen, dass Menschen in wohlhabenden Ländern ihren Fleischkonsum reduzieren sollten. Die saudi-arabische Delegation drängte an mehreren Stellen erfolgreich auf eine Abschwächung der Aussagen zu fossilen Energieträgern. In einem anderen Fall hatte Finnland einen Satz vorgeschlagen, der klar machte, dass fossile Brennstoffe die Hauptursache für den Klimawandel sind. Doch Saudi-Arabien erhob Einspruch, so dass die Zeile gestrichen wurde.

Mehr zum Bericht beim Weltklimarat, bei Watson, Carbon Brief, Zeit (paywall), Guardian, Distilled.earth, heatmap.news

Weltklimarat zeigt die grössten Hebel auf

Wir wissen es schon länger: Die Welt muss ihre CO2-Emissionen in den nächsten sieben Jahren um fast die Hälfte senken, wenn die globale Erwärmung auf 1,5 Grad beschränkt und die schlimmsten Klimaauswirkungen vermieden werden sollen.

Im jüngsten Bericht des Weltklimarates (IPCC) versteckt sich eine wichtige Grafik, die aufzeigt, wo die grössten Hebel für Reduktionen liegen. Sie zeigt damit einen Ausweg aus der Katastrophe. Die wichtigsten fünf Hebel sind Windenergie, Solarenergie, Energieeffizienz, Schutz der Wälder und Reduktion der Methanemissionen.

Mit dem Ausbau von Solar- und Windenergie könnten bis 2030 die jährlichen CO2-Emissionen um 8 Mrd. Tonnen gesenkt werden. Das ist mehr als ein Fünftel der heutigen Emissionen und entspricht den Emissionen der USA und der Europäischen Union zusammen. Besonders positiv ist, dass der grösste Teil dieses Ausbaus deutlich weniger kostet, als wenn man einfach mit den heutigen Stromsystemen weitermacht. Genauso wichtig wie die Gewinner sind in dieser Analyse die Verlierer. Kernkraft und CO2-Speicherung (CCS) haben jeweils nur 10 % des Potenzials von Wind- und Solarenergie, und das zu weit höheren Kosten. Das Gleiche gilt für die Bioenergie – das Verbrennen von Holz oder Pflanzen zur Stromerzeugung.

Durch den konsequenten Schutz von Wäldern und anderen Ökosystemen könnten bis 2030 jährlich 4 Mrd. Tonnen CO2 eingespart werden. Das entspricht in etwa dem Doppelten der heutigen Emissionen aus fossilen Brennstoffen von ganz Afrika und Südamerika. Wird zudem noch aufgeforstet, könnten jährlich weitere 3 Mrd. Tonnen CO2 gespeichert werden. Das würde grösstenteils weniger als 50 Dollar pro Tonne kosten - die Hälfte was zurzeit in Europa für Emissionsrechte oder in der Schweiz für die CO2-Abgabe bezahlt wird.

Energieeffizienz in Gebäuden und Industrie könnten die Emissionen bis 2030 nochmals jährlich um 4,5 Mrd. Tonnen senken. Und werden Methanlecks gestopft, können weitere 3 Mrd. Tonnen eingespart werden.

Eine Umstellung auf eine nachhaltigere Ernährung in den reichen Ländern – also weniger Fleischkonsum - könnte 1,7 Mrd. Tonnen Emissionen einsparen.

Die Förderung des öffentlichen Verkehrs, von Fahrrädern und E-Bikes hat das Potenzial, die Emissionen stärker zu senken als die Einführung von Elektroautos. Beides ist für die Dekarbonisierung notwendig.

Das IPCC-Diagramm ist deshalb so wichtig, weil es aufzeigt, dass wir nach wie vor viel Handlungsspielraum haben. Es zeigt, dass wir die globalen Treibhausgasemissionen bis 2030 halbieren könnten, und das uns das weniger als 100 CHF pro Tonne kosten würde. Ein Schnäppchen, wenn man es mit den Schadenskosten vergleicht, die ein Abwarten unweigerlich mit sich bringen wird. Die Lösungen erfordern auch keine neuen Technologien, sie brauchen dezidierten politischen Willen.

Quelle: «Down to Earth»-Newsletter des Guardian. Er kann hier abonniert werden.

CO2 Emissionen steigen langsamer, Methan jedoch deutlich schneller

Die weltweiten CO2-Emissionen sind 2022 um 0,9% oder 321 Mio. Tonnen gestiegen und haben einen Höchststand von über 36,8 Milliarden Tonnen erreicht. Im Vorjahr war der Ausstoss nach der Aufhebung der Corona-Massnahmen um 6% gestiegen. Die Auswertung der Internationalen Energie-Agentur zeigt, dass die Energieproduktion für den Anstieg 2022 verantwortlich war. Im Industriesektor gingen die Emissionen zurück. Ohne den starken Ausbau von Solar- und Windanlagen hätten die Treibhausgase schneller zugenommen. Letztes Jahr deckten erneuerbare Energien 90% des weltweiten Wachstums der Stromerzeugung. Der verlangsamte Anstieg der Treibhausgasemissionen ist erfreulich, reicht aber nicht, um die Pariser-Klimaziele zu erreichen. Um den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 °C zu begrenzen, müssten die Emissionen bis 2030 halbiert werden. Mehr dazu im Guardian.

Die Methanemissionen aus Feuchtgebieten sind in diesem Jahrhundert stark gestiegen. Der Anstieg war höher, als selbst die pessimistischsten Klimaszenarien berechnet hatten. Höheren Temperaturen und veränderte Niederschlagsmuster führen dazu, dass Feuchtgebiete Methan schneller an die Atmosphäre abgeben. Gemäss einer in Nature Climate Change veröffentlichten Studie, gab es 2020-21 einen aussergewöhnlichen Anstieg der Methanemissionen, vor allem in den Tropen. Eine zweite, im gleichen Magazin publizierte Studie verweist darauf, dass die globale Erwärmung auch die Emissionen von CO2 und Lachgas in Feuchtgebieten beeinflusst. Mehr dazu bei Carbon Brief.

Auch bei der Erdöl- und Erdgasförderung werden grossen Mengen an Methan freigesetzt. Der Guardian hat mehr als 1000 «Superemittenten» identifiziert, hauptsächlich Öl- und Gasanlagen. Die grösste Methanquelle, Anlagen und eine Pipeline in Turkmenistan, stiess 2022 pro Stunde 427 Tonnen Methan aus, was den stündlichen Treibhausgasemissionen von Frankreich entspricht. Die Verursacher wurden anhand von Satellitendaten aufgespürt; die meisten davon befinden sich in den USA, Russland und Turkmenistan. Einige der Lecks werden absichtlich verursacht, um unerwünschtes Gas, das bei Ölbohrungen aus dem Untergrund tritt, in die Luft abzulassen. Andere stammen von schlecht gewarteten oder unzureichend kontrollierten Anlagen. Methanemissionen sind heute für 25% der globalen Erwärmung verantwortlich.

Massiver Eisverlust in der Antarktis

3,3 Billionen Tonnen: So viel Eis ist in der westlichen Antarktis in den letzten 25 Jahren geschmolzen. Das zeigt eine Studie in Nature Communications. Dies entspricht einer Menge von einer zehn Meter dicken Eisschicht über ganz Deutschland. Zum Verlust haben der Anstieg der Meerestemperatur und Veränderungen der Meeresströmung beigetragen. Dadurch geht Schelfeis verloren und die Gletscher fliessen schneller ins Meer, wodurch mehr Eis abbricht. Zudem schneite es über der Landmasse weniger, wodurch die Eisverluste nicht mehr ausgeglichen werden konnten. Laut den Studienautor:innen gibt es keine Anzeichen dafür, dass sich dieser Prozess in absehbarer Zeit umkehren wird. Mehr dazu bei tagesschau.de.

Wie genau das Thwaites-Schelfeis abschmilzt, haben Forscher:innen mithilfe eines Tauchroboters untersucht. Diese Eismasse in der Westantarktis gehört zu den am schnellsten schrumpfenden und am wenigsten stabilen Schelfeisflächen der Welt und stellt mit Blick auf den Anstieg des Meeresspiegels die grösste Gefahr dar. Die in zwei Studien in Nature (hier und hier) publizierte Untersuchung zeigt, dass die Unterseite des Thwaites-Schelfs zwar weniger schnell abschmilzt als dies mithilfe von Computermodellen berechnet worden war. Gleichzeitig entdeckten die Forschenden aber, dass das schnelle Schmelzen an unerwarteten Stellen stattfindet – bei Terrassen und Spalten, die bis ins Eis hinein reichen. Die Erkenntnisse helfen, die Auswirkungen des Thwaites-Gletscher auf den globalen Meeresspiegel besser abzuschätzen. Mehr dazu in der NY Times.

Auch die Meereisausdehnung nimmt ab. Satellitendaten im Februar zeigten, dass noch eine Fläche von 2,2 Millionen Quadratkilometern des Südlichen Ozeans von Meereis bedeckt ist. Damit wurde der tiefste je gemessene Stand erreicht. Die Auswertung hat die Wissenschaftler:innen überrascht; sie hätten noch nie eine so extreme Situation gesehen. Mehr dazu hier und hier im Guardian.

Der Weltklimarat hat seine Prognose zum steigenden Meeresspiegel in den vergangenen Jahrzehnten regelmässig nach oben korrigiert. Der neue Bericht sagt nun, dass in den nächsten 2000 Jahren der globale Meeresspiegel um etwa 2-3 m ansteigen wird, wenn die Erwärmung auf 1,5°C begrenzt wird, und um 2-6 m, wenn sie auf 2°C begrenzt wird. Mehr zum neuen IPCC Bericht, siehe oben.

Danke und Herzliche Grüsse von Anja und Thomas! Die Klimazeitung darf gerne weitergeleitet werden. Falls du noch nicht auf dem Verteiler bist, kannst du sie hier abonnieren: https://bit.ly/Klimazeitung